Heute wird Valeries Geschichte weitererzählt.
Den ersten Teil findet ihr hier: 1. Familiengründung mit Hindernissen
2.
Diagnose: Down-Syndrom
Wir hatten
noch gar nicht so früh mit einem Ergebnis gerechnet. Erst acht Tage zuvor
hatten wir den Trisomie-Test mit dem irritierenden Namen Harmony in Auftrag gegeben. Auch die Art der Benachrichtigung war
unerwartet. Am frühen Mittwochabend fand ich schlicht eine E-Mail vom
Humangenetiker in meinem Postfach vor. Immer wieder blieb ich an denselben
Wortfetzen hängen: Ihr erwartetes Kind… Trisomie 21 … Down-Syndrom…
Was empfindet man in so einem
Augenblick? Ehrlich gesagt konnte ich die Nachricht erstmal nicht so ganz
glauben. Was, echt jetzt? Ausgerechnet
uns sollte es erwischt haben? Vielleicht ist ja alles nur ein
Irrtum? Vielleicht wurde die E-Mail bloß an die falschen Leute verschickt?
Erst kürzlich hatte ich mit
einem Bekannten telefoniert, der die Übervorsicht rügte, mit der ich die Freude
über meine Schwangerschaft zurückhielt. Ich schob nämlich offiziell immer den
noch ausstehenden Trisomie-Test vor. Bei unserem Gespräch gab ich ihm recht,
denn ich mag meinen Pessimismus selber nicht besonders. Ja, man sollte immer
erstmal vom besten Fall ausgehen. Oder? Hatte ich vielleicht doch etwas geahnt?
Kaum hatte ich die Nachricht
des Humangenetikers ein paar Mal überflogen, kam mein Mann von der Arbeit nach
Hause, etwas früher als sonst. Ich war erleichtert, in dieser Situation nicht
lange alleine sein zu müssen. Hastig zog ich ihn ins Schlafzimmer, schloss die
Tür hinter uns und stammelte: Unser Kind
hat das Down-Syndrom.
Einer meiner ersten Gedanken
war: Unser Sohn hat sich so sehr ein
Geschwisterchen gewünscht. Also muss ich es nun austragen. Koste es, was es
wolle. Auch, wenn es behindert ist.
Meine Tendenz war also
erstmal eindeutig für das Baby in
mir. Unser rotes Baby-Jäckchen fiel mir wieder ein… Mein Instinkt war doch
gleich, vom Tag des positiven Schwangerschaftstests an, das Kind in meinem
Bauch zu beschützen!
Bald darauf kamen aber auch
Wut und Auflehnung in mir hoch, gegen das Schicksal, von dem ich mich – ich
kann es nicht besser ausdrücken – irgendwie vergewaltigt fühlte. Dazu verdammt,
mich bis an mein Lebensende um einen Menschen mit einer mehr oder weniger
starken Behinderung zu kümmern. Ich fand das sehr ungerecht. Obwohl es
selbstverständlich – und das war mir schon immer klar – keinen Anspruch auf ein
gesundes Baby oder überhaupt auf Kinder gibt.
Die Dunkelheit jener
schlaflosen Dezember-Nächte war grenzenlos. Am mächtigsten war wohl die Angst.
Denn die Hoffnung, dass wir es schon irgendwie und trotz allem schaffen würden
mit einem zweiten Kind, war angesichts der Tragweite der Diagnose wie ein
Kartenhaus in sich zusammengefallen. Hier griffen selbst unsere Notfall-Pläne
nicht mehr, denn die waren davon ausgegangen, dass es sich um ein gesundes Baby
handelte. Ein Kind, das nur in den ersten paar Jahren besonders intensive
Betreuung brauchen würde. Schon bei diesem Gedanken hatten wir uns angesichts
meiner gesundheitlichen Lage große Sorgen gemacht. Schon dieses Szenario hatten
wir uns ja eigentlich nicht zugetraut. Und jetzt auch noch eine mehr oder
weniger ausgeprägte Behinderung obendrauf…?
In den nächsten Tagen standen
für meinen Mann und mich verschiedene Termine an. Nach dem ersten
Beratungsgespräch vom Donnerstagmittag stand fest: Wir wollten die Diagnose auf
jeden Fall überprüfen lassen. Der DNA-Bluttest ist nämlich so neu, dass man
sich auf keinen Fall allein auf dessen Ergebnis verlassen darf, falls eine
Abtreibung in Frage kommt. Ist der Test wie in unserem Fall auffällig, muss der
Befund daher mit einem der klassischen invasiven Verfahren überprüft werden, um
einen Abbruch aufgrund einer Fehldiagnose (ein sogenanntes Falsch-Positiv) zu
vermeiden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass aus Versehen ein eventuell
doch genetisch unauffälliges Kind abgetrieben wird.
Mit 99,7 Prozent
Wahrscheinlichkeit, so die damaligen Angaben, erkennt der DNA-Bluttest es
richtig, wenn ein Down-Syndroms vorliegt. Neben
dieser erdrückend großen Zahl verblasste das ungefähr 1-prozentige Risiko einer
durch die Untersuchung ausgelösten Fehlgeburt, vor dem wir bis dahin
zurückgeschreckt waren. Wir wollten einfach so genau wie möglich wissen, woran
wir waren und stimmten daher einer invasiven Untersuchung zu. Es blieben noch
ein paar Promille Hoffnung, dass der Bluttest sich geirrt haben könnte.
Ganz kurzfristig, noch für
den Abend desselben Donnerstags, bekamen wir einen Termin in einer Praxis für
Pränataldiagnostik. Zunächst wurde unser Baby da nochmal gründlich per
Ultraschall untersucht. Die Aufnahmen mussten mein Mann und ich live auf einem
riesigen Bildschirm an der Wand mitverfolgen. Das war Absicht, der Gedanke
dahinter: Je persönlicher sich die Eltern mit ihrem Kind auseinandersetzen,
desto besser ist es vor einem kurzschlussartigen Abbruch geschützt.
Während der ganzen
Untersuchung heulte ich Rotz und Wasser. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr
beruhigen. Dieses lebhafte Ungeborene sollte behindert sein? Dabei turnte es
doch die ganze Zeit putzmunter herum! Für mich fühlte sich mein Baby überhaupt
nicht behindert an. Passend zu meiner Empfindung fanden sich beim Ultraschall
keinerlei Hinweise auf eine Trisomie. Unser Ungeborenes sei sonographisch
völlig unauffällig, so der Pränataldiagnostiker. Die Nackenfalte war nicht dicker
als normal, das Nasenbein sogar besonders gut ausgebildet. Auch beim Wachstum
war unser Baby eher weiter als für sein Alter vermutet. Und sein Puls schlug
kräftig und regelmäßig. Unser Kind hatte also keine Fehlbildung am Herzen? Oder an den Verdauungsorganen?
Beides kommt beim Down-Syndrom ja leider gehäuft vor. Der Arzt konnte es nicht
genau einschätzen. Es war dafür einfach noch zu winzig, unser Kindchen. Auch
die für das Down-Syndrom typische Wachstumsverzögerung, so sagte man uns, würde
sich erst später in der Schwangerschaft zeigen. Uns wurde erklärt: So oder so
sagt bei Trisomie 21 das Fehlen oder Vorhandensein früher
Ultraschall-Auffälligkeiten (sogenannter Softmarker) nichts über den
späteren Grad der Behinderung aus, weder über die geistigen noch über die
körperlichen Einschränkungen eines Kindes.
Ich war damals in der 13.
Schwangerschaftswoche, und zu diesem frühen Zeitpunkt wird als invasive Methode
meist eine Chorionzottenbiopsie (Plazenta-Punktion) durchgeführt. Hierbei
werden durch die Bauchdecke der Frau Proben aus dem Mutterkuchen entnommen, dessen
Chromosomen in der Regel mit denen des Ungeborenen genau übereinstimmen. Die
Punktion war aufgrund der lokalen Betäubung kaum schmerzhaft, aber trotzdem
sehr unangenehm. Eine dicke Nadel, die in meinem Bauch herumstocherte, die mich
(und mein Baby?) unmittelbar verkrampfen ließ. Ich kann bestätigen: Das Ganze
ist buchstäblich sehr invasiv, es hat etwas Gewaltsames an sich.
Schon am nächsten Tag, es war
Freitagabend, kam der Anruf und damit die Gewissheit, die wir gesucht hatten.
Unser Humangenetiker ist ein älterer Herr mit jahrzehntelanger Berufserfahrung.
Er sei immer sehr, sehr vorsichtig mit solchen Diagnosen, sagte er. Aber unser
Befund war wohl mehr als eindeutig. Die Chorionzottenbiopsie und der
DNA-Bluttest stimmten in ihren Aussagen exakt überein. Alle Untersuchungen,
auch die später ausgewertete sogenannte Langzeitkultur, lieferten das gleiche
Ergebnis: Freie Trisomie 21. Die Vollversion des Down-Syndroms.
Kein Zweifel mehr an der
Diagnose. Keine Hoffnung mehr auf ein Wunder.
Nächsten Mittwoch im dritten
Teil: Wie Valerie und ihr Mann um eine Entscheidung ringen.
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