Letztes Jahr habe ich ja tatsächlich zwei Führungen in der Stadt alleine gemacht und so davon zu Hause geschwärmt, hier natürlich auch (hier und hier), dass Christian sofort ja sagte, als ich am Freitag meinte: "Am Sonntag ist eine Stadtführung in Kreuznach, ich hab Lust, kommst du mit?"
Ich finde es immer spannend mehr Insiderwissen zu erfahren, allerdings schon etwas traurig mit keinem hinterher über Kleinigkeiten sprechen zu können oder einfach vertraut hinter dem Führer her zu schlendern.
Jetzt sind unsere Kinder ja nicht so der Art, dass sie anderthalb Stunden gebannt zuhören wenn jemand etwas von Geschichte erzählt, da kommen sie gar nicht nach mir, ich fand meine Eltern hätten das viel öfter mit mir machen können.
Wir machten also einfach mal einen ElternAusflug und ließen die Hälfte der Familie zu Hause und es war genau perfekt so.
Wer die Möglichkeit hat sollte unbedingt mal mitmachen bei der:
Stadtführung mit Schutzmann Wiechert
Start der Führung ist auf dem Kornmarkt. Dieser Platz wurde neu gestaltet und ist seit Frühling 2019 ein echtes Schmuckstück.
An einem warmen Tag wie diesem kommt fast mediterranes Feeling auf mit den Straßencafés die jetzt auch richtig gut zur Geltung kommen.
Mit der Neugestaltung des Platzes hat auch der Originalebrunnen, der vorher etwas abseits an den Rand gedrängt war, einen würdigen Platz in der Mitte gefunden.
Die Kreuznacher Originale sind alles Einwohner von Bad Kreuznach die es wirklich gab und die zum Stadtbild dazu gehörten, jeder kannte sie und genau darum hat man ihnen ein Denkmal gesetzt.
Ganz oben zum Beispiel "Es Marri mit de Feierblos", sie hatte die Aufgabe durch die Gassen zu laufen und Feuer zu blasen, wenn es brannte, das machte sie bis 1929.
Also ich kann mich erinnern, dass in meiner Kindheit in dem kleinen Kaff in der Westpfalz auch noch vieles ausgerufen wurde, natürlich nicht wenn es brannte, doch wenn Mitteilungen gemacht wurden.
Dann lief der "Schitz" mit seiner Handglocke durchs Dorf und rief zB "Morje werd vun acht bis zwee Uhr es Wasser abgestellt" War man nicht zu Hause um das zu hören wurde man überrascht, wenn plötzlich kein Wasser mehr da war.
Doch zurück zu den Kreuznacher Originalen, wie "De Gulasch", sein Name kam von seinem Lieblingsessen, oder dem "Schandarm".
Die Franzosen haben ja öfter mal diesen Teil von Deutschland zu ihrem Gebiet gemacht, daher die französischen Begriffe wie Gendarm auch hier in Kreuznach.
Mich befremdet das wenig, den Schandarm war auch bei mir zu Hause ein gängiger Begriff für Polizist in der älteren Bevölkerung.
Und um ihn geht es heute um den Schandarm, oder Schutzmann Wiechert.
Er wird uns heute durch sein Kreuznach führen, durch die Gassen der Neustadt.
Nicht wundern Kreuznach ist da etwas verrückt mit Altstadt und Neustadt.
Wir waren also auf einer Bank auf dem Kornmarkt, schauen uns noch etwas um, wie schön ruhig dieser Platz an einem Sonntagvormittag um 11:00 ist.
Hier findet übrigens auch der Kreuznacher Wochenmarkt statt Dienstags und Freitags herrscht hier wieder ein Markttreiben wie in alten Zeiten, wo hier der Pferdemarkt war.
Ob in der Zeit vom 3-6.1.1814 hier Markt war kann ich nicht sagen, aber General Blücher machte hier 3 Tage Rast auf seinem Weg nach Frankreich, im März zog er dann in Paris ein, er hatte es also nicht so eilig.
Das Haus heißt heute noch Blücherhaus und seit Frühling 2019 ist hier eine der leckersten Eisdielen von Bad Kreuznach eingezogen, also ruhig mal ein bisschen Zeit nehmen und ein Eis schlecken.
Wir hatten allerdings keine Zeit für ein Eis, denn unser Schutzmann stand kurz vor 11 auf dem Platz und die Tourmitglieder sammelten sich um ihn.
6 Euro kostet es für 1,5 Stunden Stadtrundgang, für Gästekarteninhaber nur 4 Euro.
Wie sich herausstellte waren über die Hälfte der Teilnehmer Einheimische, die genau wie wir ihre Stadt mal aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen wollten
Natürlich ist der Schutzmann nicht echt und heißt auch nicht Wiechert, sondern Langer, er ist aber ein echtes "Gässje" und hat wirklich viel Insiderwissen aus den Gassen.
Warum die Kreuznacher "Gässjer" genannt werden? Das merkt man schnell, wenn man durch die Neustadt läuft, die fast komplett aus alten, schmalen Gassen besteht.
Mit dem Blick auf die Nahe mit der Schirmbar erkläre ich mal schnell das Paradoxon mit Alt- und Neustadt.
Kreuznach ist schon sehr alt, schon die Kelten und die Römer fanden es hier ziemlich schön und ließen sich nieder. Natürlich wurde über die Jahrhunderte hier weiter gesiedelt und gebaut, das geschah alles auf der Naheseite wo die heutige Altstadt liegt.
Jetzt sollte aber unterhalb der Kauzenburg eine neue Stadt auf der anderen Naheseite entstehen und deshalb ist dieser Teil die Neustadt.
Im Krieg hat es die Altstadt echt heftig getroffen, klar die Bahnlinie war dort und auch die Straßen Richtung Westen nach Frankreich, Blücher wusste ja auch schon, dass es hier entlang geht.
So blieb von der richtigen Altstadt recht wenig übrig und vieles hat man im Erneuerungswahn dann auch noch weggerissen.
Die Neustadt blieb verschont.
Deshalb hat die Altstadt von Kreuznach immer noch den Namen Neustadt und Einheimische verwirren damit die Touristen immer wieder aufs Neue.
Das eigentliche Wahrzeichen von Kreuznach sind die Brückenhäuser, die sind weder links, noch rechts der Nahe, sondern einfach auf die Brücke gebaut.
Leider nagt der Zahn der Zeit und es muss dringend etwas zur ihrer Rettung getan werden.
In einem der Häuser steckt sogar noch eine Schwedenkugel aus dem Krieg, die Kugel ist zwar echt, aber nachträglich eingemauert.
Unser Schutzmann erzählt auch von dem Steuersparmodel.
Kennt man ja die Shotgunhäuser in den USA, da sie Steuern auf die Front zahlen mussten und deshalb schmal und lang waren, so musste man hier Steuer auf die Grundfläche zahlen, da wurde man eben nach oben etwas breiter.
So lange war ich schon nicht mehr hier, dass ich diesen Stein für die jüdischen Opfer aus Kreuznach noch nicht gesehen habe.
Er steht auf der Nahebrücke, vor den Brückenhäusern.
Hier kam wieder Insiderwissen. Der Schauspieler James Caan *1940 ist der Sohn jüdischer Immigranten aus Bad Kreuznach.
Ja und da ist sie, die Kauzenburg, und jeder Kreuznacher hasst was der Stararchitekt Gottfried Böhm aus der Kauzenburg gemacht hat.
Die Aussicht von da oben ist traumhaft, der Blick nach oben ein Alptraum.
Wenden wir uns schöneren Bauwerken zu, den Brückenhäusern, dieses mal von hinten.
Erst aus dieser Perspektive sieht man, dass die wirklich auf die Brücke gebaut sind.
Dieser nette kleine Anbau an das Haus ist kein kleines nettes zusätzliches Zimmerchen, sondern dort war der Lokus und es ist dann einfach nach unten in die Nahe geplumpst.
Die 2 seitlichen Brückenhäuser sind in späteren Jahren bis nach unten gemauert worden um noch mehr Platz zu schaffen.
Eigentlich habe ich die Brücke fotografiert und erst zu Hause merkte ich, dass unsere Gruppe durch den Schutzmann selbst zur Attraktion wurde. Ich bin jetzt auf deren Fotos und die auf meinem als Beiwerk, fair.
Diese Brücke ist aus dem 13. Jahrhundert und steht noch, der nächste Teil der Brücke ist aus den 50er Jahren, gewesen muss ich sagen, denn sie musste abgerissen und erneuert werden, soviel zu der Haltbarkeit von Bauwerken der Neuzeit.
Weiter unterwegs in der Neustadt kommen wir auch an einem dieser Gemälde vorbei.
Man findet noch mehrere davon in Kreuznach und sind ein schöner Schmuck an kahlen Wänden.
An vielen Ecken der Neustadt tut sich etwas, wenn man hier wohnt, dann schlägt meist das Herz in einem anderen Takt und auf jeden Fall auch für die Gassen dieses Viertels.
Aus diesem freien Platz, der nie besonders ansehnlich war hat man ein zauberhaftes Nachbarschaftsgärtchen gemacht, ein wunderschöner grüner Fleck in den engen Gassen und ein Paradies für Schmetterlinge und Bienen.
Viele Gaststätten haben hier in der Neustadt zugemacht, mit Sicherheit ein Grund die ewige Brückensperrung in die Altstadt.
In der Altstadt findet man die üblichen Verdächtigen in der Fußgängerzone, von H&M über C&A und Kaufhof, in der Neustadt sind besondere Läden, die, die man nur hier in Kreuznach findet, ein Hutgeschäft ist auch dabei.
Und dann trifft man auch auf diese Schilder.
Die Betreiber des Sprechzimmers veranstalten einmal im Jahr ein einmaliges Spektakel, das Freiluftkino.
Dabei wird auf einer Seite des Ellerbachs in Klein Venedig eine Leinwand gespannt und auf der anderen Seite sitzen die Zuschauer, die am Ende spenden können was sie möchten und können.
Das ist Klein Venedig, die Häuser am Ellerbach, der eigentlich ganz harmlos wirkt, doch der kommt aus dem Soonwald im Hunsrück und kann ganz schön wild werden.
Das Fenster war nicht so schief geplant, das Haus hat sich gesetzt.
Die Menschen machen es sich hier schön in der Neustadt und ein bisschen Italien atmet man hier wirklich.
Hier noch ein Brückenhaus über den Ellerbach, der bei Hochwasser den Leuten bis zum Balkon steht.
Hier am Haus mit dem schiefen Fenster ist eine Hochwassermarke vom 21.12.1993, damals ist Kreuznach nochmal so richtig abgesoffen, wir sind etwas mehr als ein Jahr danach hier her gezogen und auch bei uns wirkten die Bilder noch nach und wir wären nie so nah an den Fluss gezogen.
In Bad Kreuznach stand die komplette Innenstadt unter Wasser, denn der Ellerbach aus dem Hunsrück, die Nahe aus dem Saarland die noch den Glan aus dem Westpfälzer Bergland intus hat bringen Unmengen an Wasser .
Inzwischen hat die Stadt einen Hochwasserschutz gebaut mit Mauern und flexiblen Stauwänden, eine Überflutung wie kurz vor Weihnachten 1993 will man nie wieder hier erleben.
Ein kleiner Beweis wie eng in Kreuznach die Gassen sind, obwohl die hier ja noch breit ist.
Für manche Häuser findet sich dann kein Käufer und es bleibt nur der Abriss, doch so einfach ist das hier nicht, denn hier hängt alles zusammen und wenn man eine Karte aus dem Kartenhaus der Neustadt heraus nimmt, dann stürzt der ganze Straßenzug leider ein.
In der Nikolauskirche war mal ein Kloster und war umzingelt von Märkten.
In Kreuznach haben die kleinen Plätze noch den Namen was damals dort gehandelt und feil geboten wurde. Der große Kornmarkt, der Eiermarkt, der Dippemarkt, ....
Hier schaut also der angenervte Bruder aus dem Kloster auf den Händler vom Dibbemarkt.
Also Dibbe sind Töpfe und wenn ich in der Küche hantiere habe ich zwar schon Töpfe, doch diese kleinen Schüsseln sind bei mir immer noch Dibbcher und das macht vor importierter Plastikware nicht halt, denn das heißt bei mir ganz oft, wenn jemand fragt wo denn die Reste vom Vortag drin sind: "Eij, in dem kleene Tubberdibbche do hinne"
Hier sind wir inzwischen schon auf dem Eiermarkt. Kreuznach ist nicht groß und alles liegt eng zusammen.
Auf diesem wunderschönen Platz war früher echt was los am Abend, jetzt hat noch die letzte Pizzeria hier zu gemacht.
Aber die Gässjer wären nicht die Gässjer wenn da nicht ein paar ne gute Idee hätten.
Abgeschaut aus Mainz gibt es hier jetzt seit Anfang Juni 2019 das Eiermarktfrühstück an jedem Samstag im Sommer.
Es ist zu befürchten, dass wir nächste Woche dort zu finden sind und wieder einen ElternAusflug machen.
Mitten auf dem Markt steht das Denkmal von Michel Mort einem Metzger aus Bad Kreuznach.
Jetzt denkt man sicher, die Kreuznacher setzen ja merkwürdige Denkmäler, doch bei der Schlacht in Sprendlingen hat die Metzgerszunft ihren Grafen von Sponheim (evtl. wirklich einer der Vorfahren meines Mannes) gerettet, allen voran der riesige Michel Mort der sich schützend vor seinen Grafen stellte.
Das Denkmal auf dem Original-Sockel ist übrigens ein Abguss, denn das Original hatte schon sehr gelitten.
Und wenn man sich jetzt fragt warum der arme Michel so ein grottenhässliches Plastikschwert hat, dem kann unser Schutzmann mal wieder eine Insidergeschichte erzählen.
Bad Kreuznach war ja bis vor gar nicht all zu langer Zeit amerikanische Garnisonsstadt und die Jungs fanden das cool ein "original" Mittelalterschwert mit nach Hause zu nehmen.
Michel hat das auch nie gut getan, sein Arm brach schon mal ab dabei. Jetzt hat er nichts mehr was nach Mittelalter aussieht in der Hand und endlich seine Ruhe.
Übrigens kam mal ein Paket bei der Stadt aus den USA an, Inhalt ein Schwert und ein Brief eines GIs der ein schlechtes Gewissen hatte, dass er in jungen Jahren Michel das Schwert geklaut hatte.
Das Hotel Michel Mort am Platz ist, wie man mir sagte, sehr zu empfehlen.
Ein bisschen Berlin ist doch überall, so hat man hier ein Stück der Berliner Mauer eingebaut.
Natürlich total Mittelalter ;-)
Hier in der Neustadt gibt es schöne Ecken
und weniger schöne Ecken und doch läuft man hier durch Geschichte.
Ich gestehe, den Dienheimerhof kannte ich noch nicht und das ist eines der ältesten Häuser von Edelleuten in der Stadt.
Auf das Geheimnis des Schaufenstermuseums kennen wir jetzt, doch ich erzähle natürlich nicht alles, sonst langweilt ihr euch ja bei der Tour, die ihr unbedingt mitmachen solltet.
Wer gerne regional einkaufen möchte, oder ein wirklich schmackhaftes Souvenir aus Bad Kreuznach mitnehmen möchte, der sollte im Nahe-Lädchen reinschauen.
Das Schöne, hier gibt es nur Erdbeeren, wenn es hier Erdbeeren gibt.
Und da sind sie "Die vier Arschbacken"
Engere Gassen gibt es hier nicht mehr, die Häuser stoßen oben aneinander und man kann von einem Haus zum anderen rüber reichen.
Hier wurde das Fleisch früher verkauft, denn hier war es kühler.
Und wo wir schon bei kühler sind.
Beim letzten Stadtrundgang war ich im Eiskeller unter der Kauzenburg.
Heute sollten wir einen anderen Eingang in den ausgehöhlten Berg betreten.
Die Kreuznacher haben zum Glück wenige Straßen umbenannt, deshalb ist das hier bezeichnender Weise die Straße Kaltes Loch.
Hier öffnete unser Führer einen Keller und führte uns durch die alten Bestände eines ehemaligen Sanitärhandels zu einem Durchbruch.
Hier war der fast vergessene Zugang zu dem alten Luftschutzbunker der Stadt.
Man gab den Tipp "Breche doch mal diese Wand auf" und tatsächlich, dahinter der Zugang zum Bunker, der natürlich noch nicht ganz freigelegt ist und auch nicht so sicher.
Hier saßen die Kreuznacher im Krieg, wenn die Bomben auf die Stadt regneten.
Angeblich ist der ganze Kauzenberg von Höhlen und Schächten durchzogen, irgendwo denke ich ist da auch ein vergessener Geheimgang zur Burg.
Liebevoll sind Fundstücke gesammelt und ich denke hier entsteht demnächst ein neues Besichtigungshighlight der Altstadt, ähh sorry, Neustadt.
Hier endete auch die Tour, die einfach großartig war mit einem Führer der kurzweilig erzählte und gar kein furchteinflössender, polternder Schutzmann war, wie der alte Wiechert.
Wir schlenderten zurück und ließen noch mal den Charme der Stadt auf uns wirken.
Ich liebe die Nahe, ich liebe diese Stadt. Es gibt zwar auch Nörgler, die gibt es aber überall, man muss sich einfach den entsprechenden facebook Gruppen fern halten.
Geld könnte Kreuznach auch brauchen und mehr Touristen, denn hier ist es einfach schön.
Das ist übrigens die Kirche von der das Gerücht geht Karl Marx hätte hier geheiratet.
Er hat tatsächlich hier geheiratet, der alte Sozi, jedoch wo, das weiß man nicht genau.
Ich verabschiede mich mit ein paar letzten Bildern von euch und hoffe ihr hattet viel Freude an dem Rundgang mit dem Schandarm und vielleicht kommt ihr ja mal her und schaut euch das alles live an, oder wir treffen uns bei einem Weinchen auf dem Eiermarktfrühstück.
Wir hatten wirklich einen vergnüglichen Vormittag bei einem Ausflug ganz ohne Kinder, bei herrlichem Wetter, doch das haben wir ja hier fast immer ;-) und am Ende habe ich jetzt meinen Ausflugsbuddy für die Zukunft gefunden, wenn ich mir heimische Kultur und Geschichte reinziehen möchte.
Wirklich ein toller Rundgang, den du toll fotografisch begleitet hast. Man fühlte sich, als wäre man vor Ort dabei gewesen ;).
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Jessica