Montag, 20. August 2018

Inklusion ist es dann, wenn es keiner mehr merkt


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Schwestern am Hafen, Inklusion von Anfang an in der Familie, Aktion Mensch



Das geht doch gar nicht!
Natürlich geht das.

Wenn ich früher zu den Leuten gesagt hätte:
"Jungs und Mädchen werden mal eine Schule besuchen und sogar nebeneinander sitzen." - sie hätten aufgeschrien und gesagt: "Das wird es nie geben!"
Heute schütteln wir die Köpfe über den getrennten Unterricht, den es früher gab.

Mein Traum für die Zukunft?
Dass die Menschen den Kopf schütteln, weil wir Kinder absondern, nur weil sie vielleicht nicht so schnell lernen, so gut hören oder nicht laufen können.

Darf ich weiter träumen?
Wir geben Menschen mit Behinderung die Chance das zu tun, was sie gut können und da spreche ich nicht nur von Werkstätten, die sicher großartige Arbeit leisten, doch auch außerhalb der Werkstatt können Menschen mit Beeinträchtigung vielleicht Dinge leisten, die wir "anderen" gar nicht können.





Jolina lebt inklusiv

Meistens jedenfalls. Ganz selten haben wir uns tatsächlich für Exklusion entschieden. Das eine ist beim PEp in Mainz, in der Jolina in einer Kleingruppe mit Kindern in ihrem Alter gemeinsam lernt und alle haben das Down Syndrom - und beim Down Sportler Festival.
Ich denke manchmal muss mein Kind auch die Erfahrung machen, dass es nicht ganz alleine ist mit der Lebensbedingung Down Syndrom. Mir als Mutter tut es ja auch gut zu hören, wenn eine andere Mutter Ähnliches mit ihrem Kind erlebt und ich mit Aufatmen feststelle: "Puh, das ist also nicht nur bei uns zu Hause so".

Aber sonst ist für sie Inklusion angesagt.

Was ist das eigentlich?




Auf obigen Bildern seht ihr Exklusion, Integration und Inklusion ganz einfach erkennbar.
Inklusion heißt einfach mitten unter den anderen mit den eigenen Möglichkeiten und Eigenarten, eigentlich eine traumhafte Vorstellung für eine Gesellschaft.
Durch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Einzelnen stärken sie das Gesamte.
Unterschiedliche Möglichkeiten bringen unterschiedliche Lösungen hervor, wenn man die verbindet, entsteht etwas Einzigartiges.

Inklusion in der Familie

Dies ist eigentlich der Punkt, an dem man am wenigsten arbeiten muss. Das ist einfach so, jedenfalls in den meisten Fällen.
Bei uns gibt es einfach Christian (Papa), Martina (Mama), Louisa (große Tochter) und Jolina (kleine Tochter). Alle zusammen sind wir eine Familie und wir leben zusammen mit all unseren Macken und Eigenheiten. Da gibt es nicht die mit 46 Chromosomen und die eine mit den 47 Chromosomen pro Zelle. Es gibt eben keine Unterschiede, für uns ist es natürlich und normal, dass Jolina in gewissen Dingen etwas anders tickt, wer nicht? Hier muss man sich auch mehr oder weniger mit meinen Macken arrangieren, z.B. dass ich es nicht ertrage, wenn das Besteck gemischt wird, also Messer und Gabel müssen bei mir zwingend von einer Besteckserie sein, okay, wenig inklusiv bestecktechnisch gedacht, aber so hat halt jeder seine Besonderheit.




Inklusion in Schule und Kindergarten

Hier stießen wir übrigens an die ersten Schranken in Köpfen und diese eine kleine Hürde, die uns auf einen anderen Weg zwang wirkt heute noch sehr negativ nach.
Nein, bei uns ist auch nicht alles Friede, Freude Eierkuchen, und warum? Weil es Menschen gibt, die bei Inklusion nur Nachteile für sich sehen, statt den Gewinn für alle.
Die Leitung des Kindergartens hier vor Ort sagte mir ganz klar und deutlich, dass man Jolina zwar aufnehmen müsse. Es wäre aber sicher besser, wenn ich eine „andere Lösung“ finden würde.
Die "andere" Lösung war ein integrativer Kindergarten in der Kreisstadt.
Der Kindergarten war toll und Jolina wurde so angenommen wie sie war und ohne dass es von außen forciert wurde bildeten sich auch wirklich Gruppen, oder Clübchen. Jolina spielte meist mit anderen beeinträchtigten Kindern, auch mal mit den anderen, aber es war wirklich wie auf dem Bild oben.
Meine Entscheidung damals hatte viele Gründe, ich wollte die optimale Betreuung meines Kindes und ich wollte, dass es willkommen ist.
Etwas, dass ich damals nicht wusste ist, dass ich mit diesem Schritt meiner Tochter einiges verbaut habe.
Wir sind ein kleiner Ort, jeder kennt jeden und die Kinder kennen sich spätestens ab dem Kindergarten untereinander. Genauso ist es bei meiner Großen.
Jolina hat diese Kinder nicht kennen gelernt und die Kinder Jolina nicht. Sie wurden keine Freunde, es gibt keine Spieldates, keine Freunde hier im Dorf.
Da half es auch nicht mit Jolina zum Kinderturnen hier im Ort zu gehen. Alle Kinder kannten sich, Jolina war das fremde Mädchen, eine doppelte Hürde. Fremd und irgendwie anders. Die Kinder gingen natürlich nicht auf sie zu, sondern blieben in ihrem Freundeskreis. Jolina hatte Spaß, doch eher alleine, das wäre anders gewesen, wäre sie im Kindergarten mit diesen Kindern gewesen.

Bei der Einschulung habe ich alles daran gesetzt, dass sie inklusiv beschult wird, die beste Entscheidung übrigens. Bei uns in Rheinland Pfalz gibt es übrigens Schwerpunktschulen. Das sind ganz normale Schulen, an der es dauerhaft Sonderpädagogen gibt mit zusätzlichen Räumlichkeiten und natürlich mit mehr Geldern, um die Inklusion durchzuführen. So eine Schule haben wir ins Auge gefasst und dachten gar nicht daran, dass es auch bei uns im Ort funktionieren könnte.
Der Direktor unserer Grundschule sagte uns dann allerdings: "Ich könnte mir durchaus vorstellen Jolina hier zu beschulen."
Was ein bombastischer Schritt auf uns zu! Das wäre natürlich genial, wenn Jolina diesen Kindergarten besuchen würde. Sie könnte einfach mit ihren Freunden ins Schulgebäude auf der anderen Straßenseite wechseln, hätte zwar nicht die gleiche optimalen Gegebenheiten wie in der Schwerpunktschule, aber ihr gewachsenes soziales Umfeld.
Doch halt, wir erinnern uns, dieses Umfeld konnte ja gar nicht aufgebaut werden, weil "...eine andere Lösung…" als der Dorfkindergarten gewünscht war.
In Jolinas Schule ist sie das einzige Kind mit Förderbedarf in der Klasse und manche Kinder hatten schon Berührung mit Kindern mit Beeinträchtigung, andere nicht. So war es am Anfang auch, dass manche Kinder schon direkt mit Jolina Kontakt aufnahmen, andere eben etwas Zeit brauchten.
Ich bin selten an der Schule, da Jolina mit dem Bus dorthin fährt, doch wenn ich sehe wie selbstverständlich sie dort in der Klassengemeinschaft aufgenommen ist, dann sieht man auch den Gewinn für alle.

Kleine Geschichte von letztem Jahr. Ich bin Begleitperson eines Ausfluges und die Lehrerin macht die unvermeidliche Aufforderung: "So, und jetzt geht ihr alle nochmal aufs Klo!"
Jolina rannte mit den anderen Kindern einfach mit, war natürlich etwas langsamer, aber ein paar Kinder verlangsamten ihr Tempo, um bei ihr zu bleiben. Da musste keiner dazu auffordern, es war ein ganz natürlicher Prozess, ganz ohne Absprache untereinander.
In der Toilette brauchte Jolina etwas länger, ich wartete und fragte: "Alles klar, Jolina?" Ein Mädchen, das wartete meinte: "Das macht sie doch immer alleine". Ich war eigentlich total überflüssig. Zwei Mädchen warteten einfach selbstverständlich auf Jolina, bis sie als Letzte fertig war und diese Mädchen waren wieder andere, als die, die beim Laufen zur Toilette auf sie gewartet hatten.
Ich konnte die ganze Zeit einen Wechsel feststellen, wie eine geheime Choreografie. Es gab immer Kinder, die in Jolinas Nähe waren. Nie musste jemand sagen: "Denkt daran, Jolina kann das nicht so gut/so schnell". Natürlich gab es auch Kinder, die weniger mit ihr zu tun hatten, aber jetzt mal ehrlich - ich kann auch nicht mit jedem gleich gut.
Habt ihr schon mal voller Staunen zugeschaut, wie ein Vogelschwarm fliegt, ganz ohne Absprachen, perfekt wie abgesprochen und doch total spontan? Im Schwarm ist jeder ein natürliches Teilchen und das haben wir auch noch ganz tief in uns, wenn man uns lässt. Genau so ist Jolina ein ganz selbstverständliches Teilchen ihrer Klassengemeinschaft. Wir Menschen sind soziale Wesen, das steckt in uns. Alles was davon abweicht ist Erziehung. Natürlich gibt es immer Anführer in einer Gruppe, doch das ist nicht zum Vorteil des Einzelnen, sondern dient der Gruppe. So funktioniert Gesellschaft, da müssen wir wieder hin.

Gewinn durch Inklusion

Ich frage mich manchmal, wer mehr von der Inklusion profitiert?
Klar, als Außenstehender würde man behaupten: "Ganz klar das Kind mit Behinderung, es darf dabei sein."
Stimmt, Jolina profitiert wahnsinnig von ihren Schulfreunden, denn sie schaut genau, was sie machen und lernt von ihnen. Sie lernt tolle Sachen und sie lernt auch mal was Blödes. Das nervt mich zwar im ersten Moment, doch dann grinse ich in mich hinein und weiß, das ist eben ganz normal bei den Kids in dem Alter.
Die anderen Gewinner sind aber Jolinas Mitschüler, denn sie lernen eine Lektion fürs Leben, die ihnen keiner mehr nehmen kann. Sie lernen, dass es Menschen gibt, die vielleicht etwas anders sind, doch dass diese im Grunde mehr Gemeinsamkeiten mit einem selbst haben als Unterschiede.
Diese Kinder werden weniger unsicher sein, wie man jetzt einem Menschen mit einer Behinderung politcal correct begegnet, denn sie haben gelernt: "Ganz normal, wie jedem anderen auch".
Diese Kinder haben gelernt, dass jeder andere Schwächen und Stärken hat und auch, dass Ankommen das Wichtige ist und nicht wie schnell.
Diese Kinder haben gelernt, dass jemand sich an kleinen Dingen freut und man das Glück in kleinen Dingen finden kann.
Diese Kinder sind zu beneiden, denn vielleicht, wenn eines von ihnen einmal ein Kind mit Down Syndrom erwartet oder bekommen hat, werden sie nicht in dieses dunkle, schwarze Loch der Verzweiflung fallen, sondern sich vielleicht an ihre Schulfreundin Jolina erinnern und denken: "Hey, die war doch richtig toll und eigentlich ganz normal, bis auf ein paar Besonderheiten. Das kenne ich ja schon und das kann ich auch. Warum sollte jemand blöd schauen, es ist doch normal anders zu sein."
All diese Erfahrungen hat man den Kindern hier im Dorf genommen, weil man lieber eine „andere Lösung“ wollte. Weil man nicht Jolina, das Kind sah, sondern Mehrarbeit vermutete, Vorurteile hatte und nicht bereit war über den Tellerrand zu schauen.

Das Wir Gewinnt

Vielleicht versteht man jetzt den Slogan der Aktion Mensch auch anders.
Klar, man kann auch mit den Losen gewinnen und gleichzeitig Gutes tun. 
Doch Inklusion von Anfang an ist der wirkliche Gewinn.
Ich kenne die Aktion Mensch noch unter ihrem anderen Namen und ich konnte die Entwicklung mit verfolgen.
Inklusion braucht Zeit, das geht nicht mit dem Holzhammer, doch jetzt ist die Zeit für die Inklusion gekommen. In den letzten Jahrzehnten kamen die Menschen mit Behinderung langsam aus der absoluten Isolation zurück in unsere Mitte, gerade wir in Deutschland haben hier ein schweres Erbe, doch irgendwann muss man ja mal anfangen und der Zeitpunkt ist JETZT.



Wäre das nicht schön? Inklusion von Anfang an?
Welche ungeahnten Möglichkeiten uns dadurch eröffnen. Eigentlich müssen wir gar nicht alle immer besser werden, sondern jeder gibt das, was er selbst am Besten kann dazu, um gemeinsam etwas Neues und vielleicht auch Besseres zu schaffen.
Vielleicht versteht man meine Träume besser nach dem man diesen Film angeschaut hat.




Mehr Informationen zur Kampagne erhaltet ihr auf der Website:

Für unsere Kinder kann es ganz selbstverständlich sein, dass man unterschiedliche Stärken und Schwächen hat, keiner wird ausgegrenzt, es muss kein Traum bleiben.

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