Freitag, 14. Juni 2019

Gastbeitrag "Miteinander leben" von fraeulein_i


Ich habe bei Instagram eine wundervolle Gastautorin gefunden, die eine schönen Text zur Blogparde "Miteinander leben" beigesteuert hat.

Ihr findet sie unter fraeulein_i bei Instagram

Danke für deinen wertvollen Beitrag

Und Entschuldigung, Blogger hat das ganze Layout total durcheinander gewirbelt, ich konnte plötzlich nichts mehr machen als einfach jetzt so stehen lassen wie es ist.
Jetzt aber zu meiner Gastautorin


Wenn ihr eine für euch ideale Welt gestalten könntet: Wie würde die aussehen?

Die Frage ist schon ziemlich groß, oder? Mir schießen direkt wahnsinnig viele utopische Ideen in den Kopf. Dabei überholen sich die einzelnen Ideen gegenseitig. Die, bei denen ich einen Moment hängen bleibe, deren Machbarkeit ich kurz drehe und wende, führen mir eins schnell vor Augen: Es bedarf nicht nur der Kraft einzelner, sondern den Willen aller, für alle gemeinsam etwas zu bewegen. Und um miteinander zu leben.

Doch heute erlaube ich sie mir. Die Naivität einer Utopie. Das Aussprechen meiner Wünsche, um gehört oder eben auch gelesen zu werden. Wir ändern nur dann etwas, wenn wir es als veränderungswürdig betrachten, darüber reden und etwas tun.



Was wünscht ihr euch von anderen Familien/ Müttern/ Vätern/ Kindern?

Im Großen und Ganzen haben wir enormes Glück. Bisher bin ich selten auf negative Reaktionen gestoßen, wenn es um Tillis Extrachromosom geht. Es sind die Nicht-Reaktionen, das betretene Schweigen, das hilflose „ABER Menschen mit Down-Syndrom sind doch so glücklich und liebenswürdig“, um die sich mein Wunsch dreht. Seid mutig und fragt mich, was immer ihr fragen wollt.
Mit Kindern habe ich noch nie eine derart peinlich berührte Situation erlebt. Sie formulieren es aus. „Tilli ist irgendwie anders, das find ich witzig.“ „Wieso kann Tilli noch nicht sprechen? Kann er das irgendwann überhaupt?“ „Tilli braucht ja noch Windeln. Ich nicht. Ich bin aber schon groß.“ „Tilli haut manchmal. Das find ich doof. Dabei darf man das gar nicht. Hab ich ihm auch schon gesagt.“
Ja, so sind Kinder. Ich wünschte sie würden sich nie ändern. Sie würden nie mit dem Gedankengut unserer und vorheriger Generationen zu Menschen mit Behinderung in Konflikt geraten. Dass sich Vorbehalte, Ängste und einmal gefällte Urteile nicht auf sie übertragen würden. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir Erwachsenen das auch noch könnten. Weniger urteilen, mehr Erfahrungen sammeln, fragen und Dinge annehmen, wie sie eben sind. Könnten wir das gesamtheitlich auf dieser Welt, gäbe es in meinem Kopf `überall wo man hinguckt nur Liebe und Frieden und so`, um es mal mit den Worten der Ärzte zu sagen.

Wenn ihr euch ganz frei eine ideale Welt vorstellen würdet: Was würden wir für euch tun? Wie würden wir uns verhalten? Was würden wir tun oder lassen?

Über die Frage bin ich kurz gestolpert. Wer ist denn dann wir? Und schließt es uns aus, weil wir eine Familie mit Kind mit Down-Syndrom sind? Dann wäre die Antwort irrsinnig einfach. Schließt uns mit ein. Unumstößlich, urteilsfrei, barrierefrei und empfangt uns mit einem offenen und herzlichen Hallo. Lasst uns alle wir sein. Wir Menschen.
War so nicht gemeint? Ok. Dann beziehe ich mich darauf, wie sich Verhalten ändern müsste. Ich muss also hinschauen, was mir als negativ auffällt. Ich mag zum Beispiel keine Scheinfragen: „Das Leben mit Tilli ist schon ziemlich anstrengend, oder?“ Wären wir bei Suits würde ich auf Suggestion pochen und Einspruch einlegen. Was ist so schwer daran eine Frage ergebnisoffen zu stellen? „Wie ist das eigentlich mit Tilli?“ Das ermöglicht einen wirklichen Austausch. Ich kann zurückfragen, was genau du meinst. Ob du es als anstrengend empfinden würdest. Ich kann sagen, was mich anstrengt. Konkret und weg von meinem Kind. Während die erste Frage mir das Gefühl gibt, ich darf nichts darüber sagen, wie entnervend Therapien, Anträge oder Ähnliches sind, weil ich damit sagen würde Tilli und das Leben mit ihm sei anstrengend, obwohl es um Umstände drumherum geht. 



-    Von Bildungseinrichtungen?
Wie müssten Schulen/ Kindergärten für euch aussehen und sein?
Inklusiv zu schreiben reicht hier bei weitem nicht aus. Es müsste bundesweit die gleichen Bedingungen in inklusiven Bildungseinrichtungen geben. Genügend Personal, das ausreichend ausgebildet ist und sich vorurteilsfrei seiner Aufgabe widmet. Aus meiner bisher noch kurzen Erfahrung ist der Schlüssel zu allem Kommunikation. Miteinander leben heißt auch miteinander reden, Bedürfnisse aller kennen, sie achten und sinnvoll unter einen Hut bringen. Es müssen innere Einstellungen verändert und Ängste abgebaut werden.  Ich habe noch nie eines dieser lernverhindernden Kinder gesehen, das Menschen ohne Beeinträchtigung vom Lernen abhält. Kinder, die anderen Kindern ein wertschätzendes Sozialverhalten als Bonus mit auf den Weg geben, in einer Welt, die ohnehin schon zu sehr auf Leistungsdruck aufbaut, schon.

-    Von öffentlichen Einrichtungen?
Fehlt euch irgendwas, wenn ihr in die Stadt geht oder wenn ihr mit euren Kindern in ein Museum oder ins Konzert gehen wollt?

Spielplätze. Es ist mir bis heute ein Rätsel, und das selbst mit zwei zusätzlichen Kindern ohne Extrachromosom: Wieso funktionieren Spielplätze erst wirklich gut ab einer bestimmten Körpergröße, gepaart mit ausreichend motorischen Fähigkeiten und frei von körperlichen Einschränkungen? Muss es denn immer das stylische Spieleparadies sein, dass sicherlich mehr für die Idee eines findigen Planers gekostet hat, als es einfache und von Anfang an für alle nutzbare Spielflächen je tun würden?
Ich wünsche mir Spielplätze, die ein wirkliches miteinander spielen fördern. MetaKom Symbole auf Spielplätzen. Lebensgroße Entdeckerbücher. Spielzelte. Murmelbahnen. Matschküchen. Bobbycar-Rennstrecken. Bastelecken. Puppenhäuser.
Ich würde mir wünschen, dass es zusätzlich niemanden geben würde, der sich an Allgemeingut bedient, wenn man Materialien bereitstellen würde. Ich würde mir wünschen, dass auch die Eltern sich zwangsläufig durch bessere Sitzplätze miteinander unterhalten und sich kennen lernen. Denn da kommen wir wieder zu dem Schlüssel, von dem ich Sprach: Kommunikation.
 
-    Von zukünftigen möglichen Arbeitgebern?
Wie stellt ihr es euch vor, dass euer Kind in die Arbeitswelt integriert wäre?

Bis dahin ist es bei uns noch ein weiter Weg. Deshalb sehe ich die Herausforderung schon darin mein Kind fit für die Arbeitswelt zu machen. Ganz davon zu schweigen, dass es toll wäre, wenn  er sich einfach auf seine Neigungen konzentrieren kann. Wäre das gegeben, würde ich mir wünschen, dass Inklusion bis dahin ein gelebter Zustand ist. Das Arbeitgeber nicht erst überzeugt werden müssen, sondern Sinn und nutzen darin sehen, dass es auch leistungsschwächere Mitarbeiter geben darf. Ich würde mir wünschen, dass Tilli stolz auf seine persönliche Leistung und seinen Teil zum großen Ganzen sein kann und dass er dafür gleichberechtigt entlohnt wird.

Ehrlich gesagt, gibt es sicherlich zig Wünsche, die ich hätte.  Die absichern würden, dass ich mein Kind in einer guten Gesellschaft weiß. Es steht und fällt jedoch mit einer ganz einfachen Entscheidung, die alles andere folgen lassen wird: Wir alle wollen so angenommen werden wie wir sind, also tun wir das im Umkehrschluss auch mit jedem anderen. Uneingeschränkt.   


Vielen Dank für deine großartigen Gedanken und dafür, dass ich sie hier teilen durfte.

Wir suchen immer noch Teilnehmer an der Blogparade und wie man sieht, als Gastautor geht das auch.



Wenn ihr wissen möchtet für was ich dankbar bin, das habe ich in diesem Post in Zusammenarbeit mit World Vision festgehalten. klick



2 Kommentare:

  1. Sehr gelungener Beitrag, den man wirklich gern liest!

    Was die Autorin bei ihrer Bemerkung, Außenstehende dürften sie in Bezug auf ihr behindertes Kind alles fragen, vergisst, ist allerdings, dass so manche Eltern von behinderten Kindern verständlicherweise sehr dünnhäutig sind und gekränkt, ausfallend oder angreifen agieren können, wenn man denn mal solche Fragen mit ehrlichem und wohlwollendem und mitfühlend Interesse stellt, wie, wie es mit dem Sprechenlernen aussieht, wie hoch der Grad der geistigen Behinderung ist, wie das Kind in der Förderschule oder als I-Kind an der Regelschule zurechtkommt, wie etwaige Diagnosen und Prognosen ausschauen, wie man auf Dauer mit dem nicht ganz zu unterschätzenden "Mehraufwand jeglicher Art", den es mit sich bringen kann, wenn man ein behindertes Kind großzieht, zurechtkommt, besonders, wenn man alleinerziehend ist.

    Viele Eltern von behinderten Kindern neigen dazu, überwiegend das Schöne und Unkomplizierte nach außen zu tragen. Machen die Kinder hübsch zurecht, damit Behinderungen nicht sofort auffallen etc..
    Das ist sicher auch eine Art von Selbstschutz, aber könnte auch so verstanden werden, dass man insgeheim doch mit dem Schicksal hadert.

    Nichts für ungut.

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    1. Du sprichst genau die Dinge an, die ich auch immer an meinen Miteltern kritisiere.
      Zum einen immer dieses schulmeisternde wenn jemand mal ein "falsches" Wort benutzt wie Krankheit, dann heißt es oft gleich "Down Syndrom ist keine Krankheit, eine Krankheit kann man heilen" Na herzlichen Dank, ein weiteres Gespräch erfolgreich abgewürgt.

      Ich denke aber alle Eltern machen ihre Kinder hübsch zurecht, nur das ständige Betonen von wie toll doch alles ist finde ich auch zu viel unglaubwürdige Zuckerwatte, übrigens auch bei Eltern deren Kinder keine Behinderung haben.

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