Montag, 4. Januar 2021

Pubertät bei Jugendlichen mit Down-Syndrom - Identität

 

Pubertät und Down-Syndrom


Heute möchte ich mich dem sehr schwierigen und auch großen Thema Identität widmen.

Es ist ein so großes Feld, dass ich mehrere Beiträge dazu schreiben könnte und immer noch nicht alles beleuchtet habe, denn gerade die Pubertät ist ja eine Zeit in der alle Jugendlichen versuchen heraus zu finden wer sie sind, oder wer sie sein möchten.

Bei Jugendlichen kommt noch ein wichtiger Punkt dazu und das ist der Faktor Down-Syndrom, dafür kann man sich nicht entscheiden und auch nicht dagegen und hier ist wieder einmal Vorarbeit nötig und erst in der Pubertät damit zu beginnen, in einer schwierigen Phase des Lebens, ist m.E. eine große zusätzliche Belastung.

Wann beginnt ein Kind mit der Identitätsfindung?


Das fängt schon ganz, ganz früh an. Das Kind lernt sich und seine Umwelt zu spüren. Nicht umsonst mögen Babys wenn man sie im Arm hält, puckt, oder auch beim Baden ein Tuch über sie legt.
Sie spüren sich und erkennen ihre Begrenzungen.
Jetzt fängt das Problem schon an, denn Kinder mit Down-Syndrom haben oft Wahrnehmungsstörungen und eine verlangsamte Reizweiterleitung.
Ob es hier schon Verzögerungen in der ersten Identitätsfindung gibt weiß ich nicht und habe auch nichts dazu gefunden.

Ich glaube aber, dass auch Babys mit Down-Syndrom sehr wohl unterscheiden können "Das bin ich - das ist Mama"

Die Sache mit dem Spiegelbild.


Bei meinen beiden Töchter gab es nie diese Szenen, dass sie das Spiegelbild für ein anderes Kind hielten. Louisa wusste von Anfang, dass sie das ist, vielleicht auch weil ihr Kinderbett damals vor dem Kleiderschrank mit Spiegelfront stand.
Auch bei Jolina gab es das nicht, dass sie ein anderes Kind im Spiegel sah, bevor sie sich selbst erkannte. Erklären kann ich es nicht, doch die Phase wird auch immer wieder als Identitätsfindung bezeichnet, sobald das Kind weiß, das im Spiegel bin ich.

Wann ist der richtige Zeitpunkt mit dem Kind über sein Down-Syndrom zu reden?


Bei diesem Punkt antworte ich wie ich auf die Frage antworte, wann und wie man es dem Umfeld oder den Geschwistern sagen sollte.
Man sollte keinen Zeitpunkt abwarten, der Zeitpunkt ist immer sofort, bzw ziemlich bald, wenn es eben passt.

Wir haben uns nie mit unseren Kindern bewusst hingesetzt und über Down-Syndrom gesprochen, das Thema war immer da.
Etwas nicht anzusprechen gibt der Sache etwas unheimliches, es wird zu etwas Unaussprechlichem, das wohl auch schlimm ist, weil man nicht darüber spricht.

Louisa war 3 als Jolina zur Welt kam und sie war dabei, wenn wir darüber gesprochen haben, wir haben ihre Fragen kindgerecht beantwortet und ich war bestimmt manchmal etwas zu kompliziert in meinen Erklärungen, das ist meine Art, hatte aber zur Folge, dass beide nie diese "Warum-Phase" hatten, weil wohl keine Fragen offen blieben, oder sie Angst hatten: "Hilfe, die erklärt gleich wieder was!"

Ich erinnere mich an eine Szene als Jolina noch ein Kleinkind war und wir einen Bericht über Down-Syndrom am TV schauten.
Jolina kniete aufgeregt direkt vor dem Bildschirm und patschte auf den Jugendlichen mit Down-Syndrom, als die Einstellung sich änderte, waren ihre Hände wieder bei dem Menschen mit Down-Syndrom, obwohl auch andere in der Szene waren, ihre Aufmerksamkeit und extreme Aufregung galt nur den gezeigten Personen mit Down-Syndrom.

Damals wurde mir klar, dass Jolina sich durchaus ihres Down-Syndroms bewusst war, auf welcher Ebene auch immer und ich konnte mir nicht erklären, wie sie Menschen mit Down-Syndrom auch aus Menschenmengen auf dem Bildschirm erkennen konnte.
Was konnte sie sehen, was wir nicht sahen?
Vielleicht war meine Idee mit einer Aura gar nicht so abstrus wie es erst erscheint. 

Jahre später, mit ca. neun Jahren machte das PEp in Mainz im Unterricht Behinderungen zum Thema.
Die Kinder sollten sagen welche Behinderungen sie kennen und welche Merkmale es gibt.
Es ist den Kindern leicht gefallen Behinderungen bei Menschen im Rollstuhl zu erkennen, oder Gehörlos, oder Blind, doch bei Down-Syndrom wurde es schwer.

Sie haben alle schon vom Down-Syndrom gehört, einordnen konnten sie es aber nicht, auch bei sich selbst nicht.
Es braucht noch Jahre, bis man einen Menschen mit Down-Syndrom fragen kann was das Down-Syndrom mit ihm macht, wie zB "Ich lerne langsamer" oder "Ich habe meine schönen Augen durch das Down-Syndrom"

Wichtig ist den Kindern und jungen Menschen klar zu sagen, dass sie das Down-Syndrom haben und dadurch eine Behinderung, gleichzeitig muss man aber auch erklären, dass es nicht schlimm ist und viele Menschen gerne besonders wären, sie es aber schon in die Wiege gelegt bekamen.

Ganz schlimm finde ich, wenn Eltern es selbst immer noch nicht verinnerlicht haben und sagen "Mein Kind ist nicht behindert!" Doch ist es und wenn man es nicht wahr haben will, sollte man direkt alle Nachteilsausgleiche durch den Behindertenausweis und das Pflegegeld zurück zahlen.

Eine Behinderung ist grundsätzlich nicht schlimm oder abwertend. Viele Menschen haben eine Behinderung, manche sieht man, manche nicht, mit einer Behinderung ist man nicht alleine, das muss man den Kindern und Jugendlichen vermitteln und als Eltern muss man vielleicht vorher bei sich damit anfangen.

Es ist falsch verstandene Inklusion eine Behinderung als nicht vorhanden hin zu stellen, Inklusion bedeutet ja, das manche Menschen eben andere Bedingungen brauchen um teilhaben zu können. Wenn man sagt das Kind/der Mensch sei ja gar nicht behindert, dann bräuchten wir auch keine Inklusion.

Down-Syndrom geht nicht weg


Bei allen Bestärkungen was sie alles erreichen können und dem Mut machen, darf man eines nicht vergessen zu erwähnen, das Down-Syndrom ist ein Teil des Jugendlichen und es wird niemals weggehen oder weniger werden. Die Hoffnung, dass mit dem 18. Geburtstag plötzlich alles anders wird hegen viele Jugendlichen tief in sich drin. Es hat nichts mit Zerstörung von Träumen zu tun, wenn man seinen Kindern das immer wieder klar macht.

Es ist so wichtig den Kindern und Jugendlichen immer wieder zu sagen, dass sie gut sind wie sie sind, ohne zu verschweigen, dass sie es immer etwas schwerer haben werden.

Alles eine Sache der Übung


Wir wissen, alles braucht viel mehr Wiederholungen bis es erlernt wird.
So ist es auch mit der eigenen Identität.
Bin ich ein Junge oder ein Mädchen hat bei Jolina auch etwas länger gedauert.
Helfen kann auch sich selbst mit anderen gemeinsam auf einer Tapetenbahn zu zeichnen. Ein anderer malt die Umrisse und das Kind muss nun selbst ausmalen was es selbst ausmacht.

Manche Gespräche sind uns vielleicht selbst unangenehm, oder schmerzen uns, trotzdem müssen wir es immer und immer wiederholen. Manchmal sollte man vielleicht auch Hilfe von außen annehmen, den ein anderer Blickwinkel kann helfen.


Ich hab mir die nicht gewünscht!


Zum Schluss noch die Sache mit der Puppe.
Sehr lange habe ich einen Bogen um Puppen mit Down-Syndrom gemacht, vor allem weil die meisten auch richtig schlimm aussahen und diese alten Bilder in den Köpfen bedienten.
Es gibt aber auch schöne Puppen, die ich besonders wertvoll halte für Kinder ohne Down-Syndrom im Sinne der Inklusion. Eine Puppe ist Freundin und kein Spiegelbild. Ich selbst mochte immer blonde Puppen am liebsten, ich selbst war aber immer dunkelhaarig, auch Barbies werden nicht geliebt weil man so ist oder sein will, sondern vielleicht gerade weil sie anders sind.

Im Sommer kamen diese Puppen dann auch mit längeren Haaren, die nicht so abgefressen aussahen auf den Markt und ich dachte ich starte auch mal einen Versuch, weil auch gleichaltrige Mädchen ihre Puppe abgöttisch lieben.

An Weihnachten packte Jolina die Puppe aus und schaute nur enttäuscht, legte die Puppe zur Seite und wendete sich anderen Dingen zu.
Am nächsten Tag fragte ich sie warum sie die Puppe nicht mag.

Ich übersetze Jolinas Sprache hier:
"Ich hab die mir nicht gewünscht!"
"Eine Puppe?"
"Nein, eine Puppe mit Down-Syndrom"
"Aber die ist doch schön"
"Nein, die ist nicht schön, die hat Down-Syndrom"

Ich glaube nicht, dass Jolina sich selbst für nicht schön hält, aber mir wurde bewusst, dass sie wohl das Down-Syndrom nicht mag und das ist auch okay, sie darf es nicht mögen und doof finden, doch sie muss lernen Seiten an sich zu finden die sie gut findet und das Down-Syndrom muss in den Hintergrund treten.

Jolina findet gerade ihre Idetität und merkt, dass das Down-Syndrom auch ein Klotz am Bein ist und auch wenn sie sich noch so anstrengt, das Down-Syndrom immer da sein wird.

Die Puppe liegt in ihrer Kiste und wurde nur für das Bild oben wieder raus geholt.
Dass Jolina sich über Puppen immer noch freut hat man ja bei der Therapiepuppe Lina gesehen, es lag tatsächlich am Down-Syndrom warum sie diese Puppe nicht möchte.

Im nächsten Teil geht es um "Loslassen"

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