Mittwoch, 5. April 2017

Jolinas Geburt: 1. Habt Ihr es eigentlich vorher gewusst?

Bisher gibt es die Geschichte von Jolinas Geburt nur in einem Buch oder von uns persönlich erzählt, doch ich finde sie gehört unbedingt auch hier her in den Blog.

So werde ich Euch Stück für Stück erzählen, wie das so war, als wir plötzlich ein Kind mit Down Syndrom hatten und unser Leben einen kleinen neuen Impuls erhielt.

Heute: Fruchtwasseruntersuchung, oder doch nicht?




Eine Frage die ganz häufig gestellt wird ist: "Habt ihr ES eigentlich vorher gewusst?"
Meine Antwort ist dann immer ein klares "Jein!" 
So einfach war es bei uns eben nicht, es lief alles etwas ungewöhnlich, aber normal kann ja jeder.


Teil 1


Da ich beim ersten Kind auf Grund meines Alters praktisch zur Fruchtwasseruntersuchung gezwungen wurde war es mir auch dieses Mal klar, dass ich auf Nummer sicher gehen wollte.
Ich würde in die Uni Mainz fahren, die würden mich in den Bauch stechen und 14 Tage später würde ich wissen, dass alles okay ist und welches Geschlecht das Kind haben würde.

Bei der ersten Schwangerschaft war ich mir noch ziemlich sicher, ein behindertes Kind wollte ich nicht, war aber froh diese Entscheidung nicht treffen zu müssen. Denn bei der Fruchtwasseruntersuchung sah ich am Bildschirm, dass dieser kleine Mensch da drin schon etwas von der Umwelt mitbekam und darauf reagierte, das war kein seelenloser Zellhaufen bei dem ein Herzchen schlug.
Louisa zuckte damals bei dem Nadelstich zusammen und wurde dann ganz starr, sie hatte es gespürt, dass da was war, dieses kleine Wesen bekam schon etwas mit, wow. Das war der Moment wo ich mich zum ersten Mal so richtig als Mutter fühlte, nicht nur schwanger und von Übelkeit geplagt, das war MEIN Kind.

So waren meine Aussagen vor der zweiten Fruchtwasseruntersuchung ganz anders. Hätte das Kind eine Behinderung würde ich deren Schweregrad abwägen, ein offener Rücken wäre ein Grund zum Abbruch, doch Down Syndrom wäre kein Grund.

Ich hatte gut reden, war ich mir doch sicher mein Kind ist gesund, so etwas passiert nur anderen, nie einem selbst. Und dann war da ja noch die Statistik.

Bei uns im Ort gab es einen kleinen Jungen mit Down Syndrom, der war nur wenige Monate jünger als Louisa und ab und zu hatten wir uns im Sommer auch im Schwimmbad getroffen und die Kinder hatten ihren Spaß miteinander.

Wenn man nun davon ausgeht, dass von 1000 Kindern eins mit Down Syndrom zur Welt kommt, dann waren wir ja auch noch gar nicht dran.

Ein Tag vor der Fruchtwasseruntersuchung stellte mein Frauenarzt fest, dass die Eihäute nicht verklebt seien und dann könne man keine Fruchtwasseruntersuchung wagen, da es eher zu einem Abgang kommen könne.
Es war übrigens genau auf den Tag der gleiche Schwangerschaftstag als die Fruchtwasseruntersuchung bei Louisa gemacht wurde.

Ich fuhr also schon mit der Annahme es wäre umsonst in die Uniklinik. Nach ein paar Stunden Warten, einer kurzen Untersuchung und mit einem neuen Termin eine Woche später fuhren wir wieder nach Hause.

Eine Woche später, wieder nach Stunden Wartezeit wurde mir gesagt die Eihäute wären immer noch nicht verklebt und man könne mir einen Termin nächste Woche anbieten. Irgendwie hatte ich schon damit gerechnet und mir darüber Gedanken gemacht.

Ich denke es soll wohl dieses Mal nicht sein. Ich werde auf dieses Zeichen hören und auf die Fruchtwasseruntersuchung verzichten.“

Im Nachhinein betrachtet ein sehr denkwürdiger Satz.
Die Ärzte drängten mich jedoch dazu einen großen Ultraschall bei ihnen in der Uni machen zu lassen.
Mit einem neuen Termin in der Tasche machten wir uns auf den Heimweg.

Bis zur ersten „geplatzten“ Fruchtwasseruntersuchung war ich mir sicher einen Jungen zu bekommen, leider, ich wünschte mir so sehr noch ein Mädchen und außerdem hatte ich noch alle niedlichen, rosa Sachen von Louisa.
Bei der Untersuchung konnte ich selbst das Geschlecht erkennen „Das sind doch Schamlippen, oder?“ und die Ärztin verneinte nicht.

Wieso ich dachte es wäre ein Junge? Nun ja, das Baby in meinem Bauch war so ruhig. Ganz anders als Louisa und ich dachte mir, Männer kriegen doch ihren Hintern nicht hoch, und dieses ruhige Kind, das muss ein Y-Chromosom haben, anders kann es nicht sein.

Heute wissen wir, dass es nicht das Y-Chromosom war das mein Baby so ruhig machte, sondern das dritte Chromosom Nr. 21.

Ach ja, wollt ihr wissen was mir die Ärzte beim ersten Versuch der Fruchtwasseruntersuchung sagten?
Ich erklärte, dass ich mich ja vom letzten Mal schon auskennen würde und Trisomie 21 kein Grund zur Abtreibung sei. Die Ärzte fragten mich dann was ich überhaupt hier wolle, es würde eigentlich vorrangig nach Trisomie 21 gesucht werden, klar es wären auch noch andere Untersuchungen möglich, doch das würde aus Kostengründen nicht mehr gemacht.

Schluck, diese Untersuchungen sind also alle dazu da um Kinder wie Jolina zu vermeiden. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wahrscheinlich sogar ein gutes Geschäft für die Krankenkassen wenn ich mir die Kosten betrachte die meine Tochter bereits in ihren ersten Lebensmonaten verursacht hat.

Am Tag des großen Ultraschall herrschte dann Chaos in der Abteilung für Ultraschalldiagnostik und Pränatalmedizin.
Die Ärztin die mich untersuchte machte einen unerfahrenen Eindruck auf mich. Eine Stunde lag ich da mit gelbeschmiertem Bauch. Alle Versuche das Kind in eine günstigere Lage zu bugsieren schlugen Fehl. Diese Untersuchung hatte nichts mit ein bisschen gemütlich Baby-Fernsehen gucken gemeinsam.
Sie versuchte alle Finger und Zehen zu zählen. Nach einer kleinen Ewigkeit hatten wir zweimal zehn zusammen. Das Geschlecht war nicht mehr zu erkennen und auch eine Unregelmäßigkeit im Magen des Kindes die mein Frauenarzt im Ultraschall gesehen hatte konnte sie nicht finden. Was dieser helle Fleck im Magen war weiß man bis heute nicht, doch die Worte „Das ist mir in 30 Jahren Berufspraxis noch nicht untergekommen.“ Hatten mich damals schon ein wenig beunruhigt.
Die Untersuchung zog sich immer mehr in die Länge, zwischendurch suchten verschiedene Ärzte ein wichtige Software-CD, bis endlich der aus Verzweiflung gerufene Chefarzt der Abteilung herbeieilte um auch mal auf, bzw. in meinen Bauch zu sehen.
Was für eine Wohltat, dieser Mann mit dem unaussprechlichen Namen hatte Ahnung von seinem Fach, das bemerkte ich gleich.
Ruck-Zuck hatte er den Magen gefunden, „Da ist nix mehr, war wohl verschluckte Käseschmiere.“ Okay, das war beruhigend, nur komisch, dass 30 Jahre lang kein Baby in der Praxis meines Frauenarztes Käseschmiere geschluckt hatte.
„Aber da ist ein White Spot.“ „Was bedeutet das?“ fragte ich. „Weißer Punkt.“ Bekam ich zur Antwort; na herzlichen Dank, sehe ich aus als könne ich kein Englisch? Doch dann erklärte er es mir doch.
„Wissen Sie man versucht schon lange irgendwelche Marker zu finden die beim Ultraschall einen Hinweis auf eine Behinderung geben. Früher galt dieser weiße Punkt im Herz noch als Softmarker für das Down Syndrom, doch das ist heute nicht mehr so. Es kamen viele Kinder gesund zur Welt bei denen man dachte sie wären behindert und auch nicht alle Kinder mit Down Syndrom haben diesen Punkt.“ Ich solle mir keine Sorgen machen.

Natürlich macht sich eine werdende Mutter Sorgen, doch seltsamerweise war ich doch recht gelassen und verdrängte diese Tatsache. Vor allem nachdem mein Frauenarzt ins gleiche Horn stieß und meinte „Was ein Glück, dass Sie nicht in Wiesbaden waren, die hätten gleich zugestochen.“

Das alles wiegte mich in Sicherheit. Heute frage ich mich ob man in Mainz nicht auch „zugestochen“ hätte, wäre dort nicht Land unter gewesen. Immerhin gab es einen Grund und es hätte Geld in die Klinikkasse gespült wo ich dann sowieso schon mal dort auf dem Tisch lag.
Ich bin nicht gläubig, weder vor noch nach Jolina, doch es könnte doch sein, dass es noch andere Pläne als meine gibt. Eben einen großen Plan. Nicht durch ein höheres Wesen, nein einfach so. Manche nennen es Vorherbestimmung, andere das Schicksal dem man nicht entgehen kann.

Die Schwangerschaft ging weiter und ich legte die Information die ich erhalten hatte ganz weit hinten in meinem Kopf ab. Wenn man eine sehr quirlige zweijährige Tochter hat, dann hat man auch wenig Zeit um Grübeleien anheim zufallen.

Fortsetzung folgt



Teil 2
Teil 3

3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Anfangsgeschichte, ich freu mich schon auf die Fortsetzung...
    Liebe Grüße, Gabi

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  2. die-kreative-nadel.com7. April 2017 um 13:52

    Wie spannend... auch wenn das Ende der Geschichte ja bekannt ist, macht es doch viel Spaß sie zu lesen. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
    Liebe Grüße
    Bettina

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  3. Wir hatten gar keine pränatalen Untersuchungen. Nur die normalen 3 Ultraschalluntersuchungen. Und auch da hab ich zur Ärztin gesagt, sie soll mir nur schönes oder lebensbedrohliches (für mein Kind und mich) sagen.
    Ich wollte auf keinen Fall eine Entscheidung treffen müssen, ob mein Kind leben darf oder nicht. Ich hab einfach darauf vertraut, dass alles gut wird. Und es ist gut. Mit Down Syndrom UND gut.
    Ich bin sehr gespannt, wie es bei euch weiterging. Wenn es für mich auch nicht in Frage kam, finde ich es immer total spannend das zu lesen. Und da ich ja weiß, wie es bei euch ausging, brauch ich auch keine Angst über ein schlimmes Ende haben.
    Liebe Grüße
    Simona

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