Mittwoch, 27. April 2016

Richtig fördern ist harte Arbeit

Menschen mit Down Syndrom können richtig viel lernen, man muss es nur richtig anpacken, oder verstehen wie Menschen mit Down Syndrom überhaupt lernen.

Ich war überwältigt mit welch großem Interesse ihr meine Rezension des Buches "Trisomie 21" gelesen habt. Aber manchmal möchte man einfach etwas greifbares in Händen haben, eine Bestärkung, dass es möglich ist etwas zu erreichen, wenn man es nur richtig anpackt.

Es wäre übertrieben zu glauben, jedes Kind mit Trisomie 21 könnte es so weit bringen wie Pablo Pineda, aber es ist ja auch nicht jeder für ein Studium geboren, nur es wäre zu einfach, zu sagen, Menschen mit Down Syndrom lernen sowieso nichts, also geben wir uns erst gar keine Mühe.

Wir haben das unendliche Glück in der Nähe von Mainz zu wohnen, wo es eine m.E. einmalige Praxis gibt, die erstaunliches hervorbringt. PEp - die Praxis für Entwicklungspädagogik.





Jolina hat einmal die Woche 90 Minuten Unterricht im PEp. In einer Kleingruppe lernt sie seit Kleinkindalter Dinge, die bei Kindern ohne Beeinträchtigung von alleine, oder mit viel weniger Mühe kommen.
Am Anfang standen vor allem Spracherwerb und Feinmotorik im Mittelpunkt. Natürlich war auch GuK ein großer Baustein. Heute haben Buchstaben und Zahlen einen großen Part im Unterricht, aber auch das Erzählen von Erlebtem wird geübt, oder das Deuten von Gefühlen.


Gestern war ich auf einem Vortrag zu "Lernen effektiv unterstützen"
Der Raum war komplett ausgebucht und auch der Ausweichtermin ist schon rappel voll.
Das Thema bewegt und interessiert, nicht nur Eltern, sondern auch Erzieherinnen und Lehrer.
(Sorry, das Handybild ist unterirdisch)



Jolina hat auch immer Hausaufgaben auf die sie mit Freude erledigt, jedenfalls meistens.
Das Geheimnis ist, immer ein bisschen mehr zu fordern, als das was das Kind leicht erledigen könnte, es aber mit etwas Mühe oder Hilfe erreichen kann.



Wenn man Mäuschen spielt bei uns während der Hausaufgaben, dann könnte man annehmen ich stünde unter irgendwelchen Drogen, hahaha, aber der Abend gestern zeigte mir, dass ich es genau richtig mache.

Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Verhalten, erwünschtes und unerwünschtes.
Das eine muss man positiv bestärken, das andere durch negatives Feedback versuchen zu unterbinden.




Wer zum ersten Mal ins PEp schnuppert, vor allem bei den ganz Kleinen denkt sicher die Therapeuten wären etwas schräg drauf.

Wenn Kinder etwas gut machen, dann wird dies durch Worte, Gestik und Mimik extrem überzeichnet gelobt, denn wenn Kinder Wahrnehmungsstörungen haben, dann ist es wichtig klar in seiner Aussage zu sein.

Was viele Eltern falsch machen ist bei Fehlverhalten zu viel zu sprechen und eventuell dabei noch zu lächeln und freundlich zu sein. Klar wir wollen Harmonie, doch ein Kind wie Jolina kann das nicht einordnen.
Sie hört zwar "das ist falsch" aber sie sieht ein Lächeln, das kann sie nicht verarbeiten.




Auch schimpfen ist Aufmerksamkeit, die das Kind bekommt, teilweise ist ein sich total zurück zu nehmen und nur knappe Ansagen zu machen einfach der bessere Weg. Denn lieber negative Aufmerksamkeit als gar keine, denken viele Kinder.




Es wurde auch auf Beispiele eingegangen, wie zB das Kind bockt beim Einkauf und nur damit es ruhig ist, bekommt es was Süßes, wirkt vielleicht für den Augenblick, aber der Lerneffekt ist klar. Ich muss mich daneben benehmen und damit ich Ruhe gebe werde ich belohnt.

Weitere schlimme Situation, das Inklusionskind sitzt bei der Lehrerin auf dem Schoß, es ist ja noch so klein und so süß. Das geht gar nicht. Das Signal für alle ist grundfalsch, für die anderen Mitschüler und auch für das süße Kind.

Irgendwann ist nämlich der Niedlichkeitsbonus aufgebraucht und was dann?
Diese falschen Signale führen häufig zu ganz schlechten Angewohnheiten. Das Kind sitzt unter dem Tisch, die Mitschüler lachen, also ist es ja ein Erfolgserlebnis. Nach einigen Wochen sitzt das Kind immer noch unter dem Tisch, aber keiner lacht mehr.
Es ist einfach wichtig sofort etwas zu unternehmen, denn unerwünschtes Verhalten verselbständigt sich sehr schnell bei unseren Kindern mit "Extra" und das wieder los zu werden ist extrem schwierig.



Meine Angst vor der kommenden Schulzeit ist einfach, dass man Jolina zu viel durchgehen lässt.
Natürlich testet sie aus, das machen doch die meisten Kinder, aber bei Jolina ist es wichtig, dass sie keinen Fuß in die Tür bekommt.

Im PEp lernen die Kinder auch, dass geforderte Aufgaben erledigt werden müssen, da sitzen Kinder auch mal am Tisch, weil sie etwas nicht erledigen wollen und die anderen dürfen schon im Bewegungsraum turnen und spielen, oder die Mutter holt das Kind ab und es sitzt immer noch und darf auch erst mit, wenn die Aufgabe erledigt ist.

Manch einem kommt dies vielleicht heftig vor, aber es ist einfach wichtig.



Das ist der Grund warum ich nicht jeder Zeit mit Jolina Hausaufgaben machen kann, nicht immer habe ich soviel Kraft und Geduld die richtigen Signale zu senden und nicht immer kann ich mir für einen schlecht nachgemalten Buchstaben ein Loch in den Bauch freuen, doch sie hat sich bemüht und das muss direkt belohnt werden, damit sie mit Freude dabei bleibt.

Dies erwähnt Zimpel auch in seinem Buch. Die Belohnung bei Aufgaben muss direkt erfolgen und nicht hinterher, also nicht "wenn du das machst, darfst du später TV schauen" sondern "hey das M ist aber schön geworden, du bist so toll"



Nach 7 Jahren mit Jolina bin ich in vielen Situationen einfach müde geworden.
In der Theorie weiß ich genau wie es richtig wäre, doch ich kann auf Grund meines Mensch seins einfach nicht immer auf Knopfdruck richtig reagieren.

Klar, wenn Jolina beim einkaufen zickt, muss ich mir kleine Ziele setzen, vielleicht mit einem Artikel anfangen und dann den Laden wieder verlassen. Allerdings brauchen wir nicht nur Brot, sondern auch Wurst und Butter und Äpfel.
Manche Theorie scheitert einfach am Leben.

Eine Aussage hat mich allerdings schaudern lassen.
Um etwas zu lernen müssen wir wiederholen, damit es vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gelangt, klar (damit es dort bleibt muss man übrigens auch das immer mal wieder wiederholen)
Ein Kind mit ADS benötigt 10 mal mehr an Wiederholungen wie ein "0-8-15-Kind"
Ein Kind mit Down Syndrom braucht, jetzt haltet Euch fest. 200 mal mehr Wiederholungen als üblich.
Dies sind natürlich nur statistische Zahlen und es gibt Bandbreiten, aber es zeigt mir auch, warum ich manchmal so am Ende bin.
Immer und immer und immer wieder das Gleiche.
Manchmal möchte man nicht mehr und manchmal denkt man es bringt ja doch nichts, weil es keinen Erfolg bringt.
Es lohnt aber dran zu bleiben, den irgendwann ist das Geübte bei uns plötzlich da, so als wäre es nie ein Problem gewesen.

Deshalb ist es harte Arbeit zu fördern, doch der Erfolg belohnt dafür.




Wenn ihr mal die Möglichkeit habt einen Vortrag im PEp mitzunehmen, dann kann ich es nur empfehlen.
Dies seht ihr hier auf der Seite: klick

Aber auch beim DS-Info Center werden ab und zu Seminare angeboten von meinen Heldinnen aus Mainz: klick

14 Kommentare:

  1. ja Du hast Recht.... die PEp ist toll, leider wohnen wir zuweit weg für eine Regelmäßigkeit, das wäre eine tolle Frühförderung, die es so hier nicht gibt..... wir waren zum " Intensivtraining " - aber alle halbe Jahr reicht mir ( also mir als Mama beim Thema frühes Lesen z.Bsp. ) grad nicht..... und ist ja auch nicht ganz billig ;-)

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  2. wow, 200 mal mehr Wiederholungen.. das ist natürlich eine große Zahl. Aber andererseits.. du zählst ja nicht jedes Mal mit! Vielleicht erreicht man die 200 viel schneller als man eigentlich denkt ;)
    Sehr spannendes Thema!

    lg Caro

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    1. Nein, leider nicht. Gerade bei facebook meinte eine Mutter und Förderlehrerin, 200 wäre zu tief gegriffen.
      Es ist wirklich extrem, wenn du überlegst, dass Jolina mit 7 immer noch in drei Wortsätzen spricht und erst 2,5 war als sie laufen konnte... es kommt schon hin

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  3. 200 mal mehr Wiederholungen wären toll, Lotte braucht mindestens 500 oder so und dann weiterhin immer noch zig Übungen
    es ist teilweise echt frustrierend aber hilft ja nix, wenn ich will das sie mal nicht total abhängig von Betreuern ist, müssen wir da durch

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  4. Unsere Heilpädagogin im Kindergarten sagte letztens zu mir: "Bei einem "normalen" Kind sagt man oft, das habe ich dir doch schon hundert Mal gesagt, bei einem Kind mit Down Syndrom muss es heißen: "Das habe ich dir doch erst hundert Mal gesagt". Hat es für mich auch auf den Punkt gebracht.
    LG Ulrike

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  5. Ich zähle zwar nicht mit, aber manchmal ist es echt zermürbend. Um so schöner ist es aber dann, wenn die Mühen durch Fortschritte belohnt werden. Nicht aufgeben! Es lohnt sich. Und ihr seid so gut betreut mit dem PEp. das ist echt unbezahlbar. Ich beneide euch auch darum. Auch wir wohnen zu weit weg, gehen aber sehr gerne zum Intensivcoaching.
    Viele Grüsse, Elke

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  6. Respekt vor deiner Geduld. Diese Art und Weise der Erziehung hält auch langsam Einzug in die Pädagogik. Keine Aufmerksamkeit für Fehlverhalten , bestärken von kleinen Schritten etc. Auch da brauchen Eltern einen langen Atem und viel Geduld.
    Aber ich bin sicher, es lohnt sich.

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    1. Finde ich gut, war früher auch schon mal und dann steuerten die Eltern dagegen.
      Klar eine private Schule wie das PEp kann so arbeiten, denn wer das nicht will kann gehen (gab es schon), doch eine öffentliche Schule muss es ja allen Recht machen (muss sie das eigentlich? Wenn es doch zum Wohle der Kinder ist)

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  7. Respekt vor deiner Geduld. Diese Art und Weise der Erziehung hält auch langsam Einzug in die Pädagogik. Keine Aufmerksamkeit für Fehlverhalten , bestärken von kleinen Schritten etc. Auch da brauchen Eltern einen langen Atem und viel Geduld.
    Aber ich bin sicher, es lohnt sich.

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  8. Respekt vor deiner Geduld. Diese Art und Weise der Erziehung hält auch langsam Einzug in die Pädagogik. Keine Aufmerksamkeit für Fehlverhalten , bestärken von kleinen Schritten etc. Auch da brauchen Eltern einen langen Atem und viel Geduld.
    Aber ich bin sicher, es lohnt sich.

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  9. Abgesehen von der notwendigen Geduld - Hut ab vor allen Beteiligten! - klingt das, was da als Erziehung beschrieben wird, einfach nur nach richtig guter Konsequenz udn Hausverstand. Das brauchen vielleicht ein paar mehr verwöhnte Wohlstandskids auch,nicht nur DS-Kinder, *lach*,und es erhält auch langsam WIEDER Einzug in die Pädagogik. Weils sinst keiner mehr aushält mit den verzogenen kids.
    Schönen Tag wünscht
    Anna

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    1. Oh ja, aber als ich vor kurzem einen ähnlichen Post veröffentlichte, wurde ich fast gesteinigt von meinen Lesern, zwar nur im Blog, in facebook wurde gelobt - allerdings bleibt das hier für immer in facebook ist es schon in der Timeline verschwunden :-/

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  10. Du beschreibst das sehr gut und anschaulich, so kann man sich als Mutter von Kindern ohne Extra in Deine Welt hineindenken. Da brauchst du wirklich viel Geduld, viel mehr als ich und ich bin manchmal schon am Limit! Alles Gute für Euch!

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