Mittwoch, 21. Juni 2017

Fingerrechnen für Menschen mit Down Syndrom

und nicht nur für die.



Ich bin ehrlich, ich kann nicht wirklich gut Kopfrechnen. Sobald ich anfange zu rechnen vergesse ich die erste Zahl, oder die zahlen wirbeln und tanzen in meinem Kopf durcheinander.

Das liegt vor allem aber daran, dass man mich in den tiefsten 70ern des letzten Jahrhunderts in eine starre Form gepresst hat. So hast du das zu rechnen, friss oder stirb. Ich habe mich für letzteres entschieden und die Nutzung des Taschenrechners für die simpelsten Aufgaben.
Macht Euch keine Sorgen um Eure Kinder, wenn sie nicht rechnen können, selbst ich bin Banker geworden, macht Euch eher Sorgen um Euer Geld, da könnte es noch mehr von meiner Sorte geben. (Kleiner Scherz am Rande, liebe Ex-Berufsgenossen muss an dieser Stelle erlaubt sein)

Jetzt aber zurück zum Rechnen, nachdem ich in der ersten Klasse also gelernt habe Schnittmengen mit kleinen, roten Plättchen zu bilden, sollte ich nach Mengenlehre in der zweiten Klasse plötzlich auch endlich rechnen lernen.
Jetzt kommt aber der Punkt, der mir das Genick gebrochen hat, ich sollte nach einer ganz bestimmten Methode rechnen und durfte keine mir logischere benutzen. Ich saß oft heulend zu Haus, wenn mein Vater versuchte mir den logischen Rechenweg zu erklären, doch das durften wir eben nicht.
Kleines Beispiel. 8 + 7. Jetzt wäre es logisch die 7 zu unterteilen, mit 2 einfach die 8 zur zehn aufzufüllen und die verbleibenden 5 hinten dran zu hängen.

Dies ist für uns in unserem Kulturkreis ein logischer Weg, wir haben 10 Finger und im Prinzip haben das die Schulen heute erkannt und nennen es die "Kraft der Fünf" Es wird wieder wie früher mit Rechenschiebern, oder Perlenketten gerechnet, etwas das in meiner Schulzeit total verboten war.

Doch das praktische bei uns Menschen ist ja, dass wir gar keinen Rechenschieber mit uns rum schleppen müssen, denn wir haben einen, der ist, jedenfalls bei den meisten, einfach ein Teil von uns, unsere 10 Finger, unterteilt in 2 mal 5, coole Sache, oder?

Bei meinen beiden Kindern habe ich auf den Elternabenden gesehen, dass in den Klassen unterschiedliche Wege gezeigt und erlernt werden um auf das Ergebnis zu kommen, welche Methode das Kind später mal nutzt bleibt ganz dem eigenen Geschmack überlassen, denn jedem fällt etwas anderes leichter.

Gut, jetzt habe ich Euch viel übers rechnen erzählt und mich geoutet, doch was hat das jetzt mit dem Down Syndrom zu tun?

Menschen mit Down Syndrom haben es genetisch bedingt schwerer rechnen zu lernen, André Frank Zimpel hat das nun auch in seiner breit angelegten Studie wissenschaftlich belegt, nachlesen kann man dies in einem sehr spannenden Buch, das ich hier vorgestellt habe und unten nochmal verlinke.

Die Frage ob Menschen mit Down Syndrom rechnen lernen können kann man nicht pauschal mit ja oder nein beantworten, wie schon hier erklärt ist bei jedem die Ausprägung des Down Syndroms individuell.
Es gibt sicher welche die niemals rechnen lernen, es gibt welche die mit Zahlen wirklich gut zurecht kommen und die Wahrheit liegt am Ende in der Mitte.
Selbst ein Erwachsener, der auf dem Papier gut rechnen kann scheitert evtl. beim Einkaufen gehen an den Vorstellungen von Mengen, sind 100 Euro viel für eine Melone? Aber Schokolade kostet doch auch 99, allerdings Cent.
Hier mache ich mir auch persönlich keine Illusionen, Jolina könnte demnach mal super Banker werden, Computer findet sie toll und rechnen blöd.

Ein sehr großes Problem haben Menschen mit Down Syndrom auch durch ihre eingeschränkte "Aufmerksamkeit", das habe ich hier schon mal erklärt und wiederhole es gerne.

"Beispiel: Es liegen 4 Kugeln vor uns und wir können mit einem Blick sehen, das sind 4, wir denken nicht darüber nach und müssen nicht zählen, ein Blick und es ist klar.
Für Jolina ist es mit diesen 4 Kugeln so, als würde man mir 10 Kugeln hinlegen, ohne nachzählen, oder Gruppen bilden kann ich es nicht mehr auf einen Blick erfassen."
Menschen mit Down Syndrom können in einem Schritt einfach weniger Dinge erkennen, verarbeiten, sagen wir die Recheneinheit ihres Gehirncomputers kann nicht so viele Aufgaben gleichzeitig ausführen und macht die ganze Geschichte eben langsam und manchmal auch etwas konfus, wenn wir mit den "normalen" Gehirnen wieder mal zu viel auf einmal wollen.

 Dies macht die Sache mit dem Rechnen natürlich nicht gerade einfacher, was hier hilft, ist, dass Menschen mit Down Syndrom visuell sehr gut lernen können. Jolina erkennt also Punkte sehr gut von 1 - 6 wenn sie wie auf einem Würfel angeordnet sind, so geht es uns ja auch, obwohl auch wir mit dem "Normalgehirn" auch nur 4 gleichzeitig erkennen können wissen wir, wenn wir 6 würfeln auch, dass das 6 Punkte sind ohne nach zu zählen, oder die zwei Dreier-Gruppen zu bilden.
Dies sind kleine Hilfsmittel, die es schon kleinen Kindern mit Down Syndrom ermöglichen sich den Zahlenraum zu erarbeiten.

Jetzt war mir bis vor kurzem nicht wirklich klar, wie man mit nur 10 Fingern auch Rechnungen im 100er oder Tausenderbereich lösen kann.



Dank einer Elterninformationsveranstaltung "Rechenmethoden bei PEp in Mainz" bin ich jetzt hier um einiges schlauer und kann Jolina beim Rechnen etwas besser "zur Hand" gehen.

Das PEp-Team hat durch langjährige Erfahrung der Förderung von Kindern und Erwachsenen mit Down Syndrom Methoden entwickelt die es ermöglichen Bildungsinhalte speziell zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Kinder zu vermitteln.

War mir die Methode zum Lesen und Schreiben lernen in Jolinas Arbeitsheft noch selbsterklärend, hatte ich beim Rechnen immer leichte Verständnisschwierigkeiten, die jetzt aber komplett beseitigt sind, dank des spannenden Seminars, mit Learning by doing.

Ich möchte nicht zu viel verraten, doch ein wichtiger Punkt, den die meisten bei uns beim Fingerrechnen "falsch" machen ist, dass wir die Hände vor uns hochheben und bei "Eins" meist den Daumen ausklappen und bis zum kleinen Finger "Fünf" zählen, dann machen wir eine Unterbrechung und zählen an der anderen Hand weiter.
Jetzt schreiben wir doch auch von links nach rechts, dann ist es doch eine logische Schlussfolgerung auch von links nach rechts zu zählen.
Man klappt also alle Finger ein, Daumen nicht in die Faust, und legt sie vor sich auf den Tisch, anders ist es motorisch eine richtige Herausforderung, das muss ja jetzt nicht auch noch sein, wenn wir schon rechnen und zählen müssen.
Der linke kleine Finger ist die Eins, am besten steht die Zahl auch noch auf dem Finger, der Daumen ist die 5 und weiter geht es mit dem rechten Daumen, der bekommt die Nr. 6 usw. Ist ziemlich logisch und durchdacht, oder?
Wenn es jetzt über 10, oder 100 geht braucht man kleine Hilfsmittel, ist doch okay, Hauptsache es funktioniert. Und es funktioniert toll, endlich kann man Zahlen auch bildlich darstellen, also abgesehen vom Zahlzeichen.

Bis es das Material beim bunten Zebra gibt wird noch einiges an Entwicklungszeit vergehen, denn oft ist eine perfekte Idee schwer für den Markt so umzusetzen, dass es auch noch bezahlbar bleibt.
Deshalb empfehle ich, setzt Euch doch einfach mal mit PEp in Verbindung, denn auch wenn man nicht wie wir, das Glück hat im Umkreis von Mainz zu wohnen, gibt es die Möglichkeit von Intensivcoaching.

Der Vorteil heute ist wirklich, dass wir inzwischen so viel über das Down Syndrom wissen und somit einfach die Lehrmethoden anpassen können.
Natürlich ist das noch nicht bis überall hin durch gedrungen und so kommt es immer noch vor, dass Ärzte werdenden Müttern erzählen, dass ihr Kind mit Down Syndrom wohl nie richtig laufen oder sprechen wird, von lesen und rechnen ganz zu schweigen.
Ich mache diesen Ärzten und auch vielen Lehrern keine Vorwürfe, das was bis vor nicht all zu langer Zeit an den Universitäten gelehrt wurde ist aber überholt und viele der Lehrbücher und der Auffassungen von Professoren leider heute noch immer, hier sind wir Eltern oft informierter, als die "Fachleute" selbst, aber das ist ja nicht schlimm, wichtig ist, dass wir uns dann einbringen dürfen und wollen, keiner kennt sein Kind besser als die eigenen Eltern.

Ich kann Euch nur ans Herz legen. lasst Eure Kinder mit Down Syndrom ruhig mit den Fingern rechnen, es ist ein Hilfsmittel das wirklich hervorragend funktioniert und ganz ehrlich? Wer von uns nutzt nicht die Finger, wenn er eine Aufzählung macht?


2 Kommentare:

  1. Das klingt wirklich interessant. Ich finds super, dass es mittlerweile so viele tolle Sachen und Erkenntnisse gibt :)

    Liebe Grüße
    Caro

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  2. Ich kenne das Fingerrechnen von" yes wenn can". Es ist in Leoben in der Steiermark im Downsyndrom Zentrum erfunden worden. Von Frau Bernadette Wieser. Es ist spannend, dort mal auf die Homepage zu gucken.

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