Samstag, 1. Oktober 2016

Rezension: "App vom Arzt"

Mal Hand aufs Herz, könnt Ihr Euch noch daran erinnern als die Gesundheitskarte kam?
Was hat man uns nicht alles für Möglichkeiten dadurch versprochen.
Ich fand das auch super damals, man legt die Karte vor und der Arzt weiß gleich, welche Medikamente man dauerhaft nimmt und welche Allergien man hat.
Dass diese Karte erst mal ziemlich viel gekostet hat in der Entwicklung und für die Krankenkassen, das haben wir doch alle gerne in Kauf genommen.
Inzwischen wurde die Karte bei mir ausgetauscht, da ein "nettes" Passbild darauf prangt um Missbrauch zu verhindern.
Was ich allerdings vermisse sind die Vorteile.

Erst durch das Buch "App vom Arzt" kam mir das wieder in den Sinn. Stimmt, deshalb wurden ja der ganze Papierkram abgeschafft. Bekam man doch früher einmal im Jahr diese Hefte von der Krankenkasse zugeschickt, die man dann vorlegen musste.

Nun ja, wenn ich heute zu Ärzten gehe die mich nicht kennen und noch nicht in ihrer Kartei haben werde ich als erstes nach meinen Allergien gegen Arzneimittel gefragt, oder wenn es vergessen wird, versuche ich es zu erwähnen. Oft werde ich dann gefragt "Ja, welches Medikament hatten sie denn da? Welches Antibiotikum war es denn?"

Leute! Ich laufe nicht mit den Beipackzetteln in der Tasche rum und merken kann ich mir die Namen leider auch nicht. Stimmt, da war doch diese Karte dafür da, aaaaber!!!!!

Ständig wird in den Medien vor Fitness-Apps gewarnt. "Wartet nur ab, ihr werdet gläsern, wenn ihr nicht genug tut, dann steigen Eure Krankenkassenbeiträge, böhh böhh böhhh..."

Und ich war tatsächlich drauf und dran, es zu glauben. So wie andere glauben, dass Kinder nicht ins Netz gehören (am besten gehören Kinder nach der Ansicht vieler nirgends wo hin, denn sie sind laut, machen Dreck und stören eh nur) daran störe ich mich nicht, denn wie soll ich über ein Kind mit Down Syndrom berichten und zeigen, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn ich es nicht zeigen.
Warum lasse ich mich von solchen Berichten, dann einschüchtern?

Eine provokante Aussage des Buches ist: "Datenschutz ist etwas für Gesunde!" stimmt.

Ich erinnere mich als vor vielen Jahren unsere Bank mit einer Typisierungsaktion der DKMS unterstützte, 50 Euro kostete ein Test und jeder Mitarbeiter der wollte bekam es von der Bank bezahlt als Spende. Ich machte nicht mit, weil ich schon registriert bin und dann war da der Kollege, der zwar die Sache toll fand, aber selbst in keiner Kartei registriert sein will, man könne es ja missbrauchen. Ich konnte es damals echt nicht begreifen, diese Einstellung, was wäre, wenn er der eine unter tausenden gewesen wäre?

Das Buch zeigt, warum gerade die Vernetzung wichtig ist, welche Chancen sie bieten und ich konnte jede Seite abnicken.

Ich bin ja inzwischen selbst ein wandelndes Lexikon, das Ärzten sagen muss, was gut und was nicht gut ist für meine Tochter mit Down Syndrom. Woher sollen sie es auch wissen? Das ist ein kleiner Teil der Bevölkerung und es kann nicht verlangt werden, dass ein Arzt im Krankenhaus weiß, dass Paracetamol bei Menschen bit Down Syndrom nicht gut ist, bei meiner Tochter wirkt es zusätzlich gar nicht. Hätte ich eher nach den Medikamenten gefragt, wäre Jolina ein Tag Schmerzen erspart geblieben. Doch oft ist man mit dem Wissen ja gar nicht zur stelle, dafür könnten Computer dies übernehmen.

Es ist wirklich eine Chance und Deutschland hängt durch seinen eigentlich ja positiven Datenschutz in der Entwicklung ganz schön hinterher.

App vom ArztBessere Gesundheit durch digitale Medizin
19.9.2016, Originalausgabe.
Gebundene Ausgabe, 144 Seiten


Hier noch ein paar Worte aus dem Netz:

Berlin. 65% der Deutschen würden sich für eine Lockerung des Datenschutzes für Gesundheitsdaten aussprechen, wenn dies die Krankenversorgung verbessern würde. Das geht aus einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage hervor, die das Institut YouGov im Auftrag von des FLYING HEALTH Incubators vom 7. September bis 9.September 2016. durchgeführt hat.

Für die Umfrage wurden 2105 Deutsche bevölkerungsrepräsentativ befragt, 39% davon waren laut eigenen Angaben schon einmal sehr schwer und langwierig beziehungsweise chronisch erkrankt oder sind es aktuell noch. Von den Befragten stimmten 72% der  Befragten der Aussage zu, dass chronisch Erkrankte besser medizinisch versorgt werden können, wenn ihre Gesundheitsdaten einfach für alle Ärzte zugänglich wären. Befragte, die bereits schon einmal sehr schwer und langwierig beziehungsweise chronisch erkrankt waren oder es aktuell sind, stimmten sogar zu 79% dieser Aussage zu.

Fast die Hälfte der Befragten sah im strengen Gesundheitsdatenschutz in Deutschland ein Hindernis für eine optimale medizinische Behandlung. Über 70% der Befragten würden es zudem in Kauf nehmen, wenn bei der Behandlung einer schweren Erkrankung der Schutz ihrer Gesundheitsdaten nicht beachtet wird, sofern sich dadurch die Heilungschancen verbessern.

79% der Befragten fänden es zudem gut, wenn ihre Ärzte Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten hätten, wenn dadurch die Behandlung besser wird und Mehrfachuntersuchungen vermieden werden könnten. Bei Befragten, die bereits schon einmal sehr schwer und langwierig beziehungsweise chronisch erkrankt waren oder es aktuell sind, lag die Zustimmung sogar bei 86%.

Und schließlich würden auch über zwei Drittel der Befragten ihre Gesundheitsdaten gerne anonymisiert zur Verfügung stellen, wenn dies der Heilung anderer Menschen hilft.
Die Gruppe der 55-jährigen und Älteren zeigte sich in der Umfrage generell eher bereit, einen weniger strikten Schutz bei Gesundheitsdaten zu akzeptieren, wenn sich dadurch die Qualität der Behandlung steigert. Am skeptischsten zeigte sich die Altersgruppe der 35 bis 44-jährigen.

„Das zeigt deutlich: Die Deutschen sind bereit, für eine bessere medizinische Versorgung ihr Verhältnis zum Datenschutz zu überdenken“, sagte Jens Spahn. Der langjährige gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen ist einer der Autoren des Buches „App vom Arzt. Bessere Gesundheit durch digitale Medizin“, das jetzt im Herder-Verlag erschienen ist. Gemeinsam mit dem Mediziner und Manager Prof. Dr. med. Jörg F. Debatin sowie dem Kinderarzt und Gründer des FLYING HEALTH Incubators Dr. Markus Müschenich beschreibt Spahn darin die ganz praktische Seite der medizinischen Revolution, deren Beginn wir gerade erleben. Die drei Autoren zeigen, wie der Arzt der Zukunft arbeitet, welche Rolle Datenschutz spielt und was diese Entwicklungen für Patienten bedeutet.

„Wir stehen am Anfang der vielleicht größten medizinischen Revolution“, betont Debatin angesichts der Umfrageergebnisse. Künftig werde nicht mehr nur ein Arzt für das Wohl eines Patienten zuständig sein, „sondern tausende Ärzte weltweit, deren Wissen über die Auswertung von Behandlungsdaten in die individuelle Therapieentscheidung einfließt.“ Viele Deutschen seien sich gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten es schon heute gäbe, ist sich Müschenich sicher: „Schon heute sind Apps als Behandlungsmethode anerkannt, die Kosten werden von innovativen Krankenkassen bereits übernommen.“ Künftig werde die Behandlung per App noch wichtiger, da so gute Medizin jederzeit und überall – insbesondere in ländlichen Gebieten - verfügbar wird.

„Deutschland sollte sich an die Spitze der Entwicklung stellen und die digitale Medizin nicht weiter als Feindbild betrachten. Die Umfrage zeigt deutlich, dass eine Lockerung des Datenschutzes akzeptiert wird, wenn klar ist, welchen Nutzen die Menschen dafür bekommen“, so Spahn. Im Gesundheitsbereich sei dies besonders deutlich, weil mit neuen digitalen Behandlungsmethoden mehr Menschen länger und besser leben können als bisher. „Aber auch in allen anderen Wirtschaftsbereichen müssen wir der Digitalisierung aufgeschlossener gegenüber treten, damit wir den Anschluss nicht verpassen“, so Spahn.


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