Mittwoch, 22. Januar 2014

Von der Angst etwas zu verpassen


Ich glaube es ist so eine Müttermacke, dass man den Anspruch an sich hat alles richtig zu machen.

Wir haben die Vorstellung einer perfekten Erziehung, der optimalen Förderung und dem ultimativen Umfeld.

Schön!

Aber wie so oft, gibt es da so viele Störfaktoren.

Es fehlt an Zeit,

der passenden Infrastruktur,

dem Geld,

oder,

das Kind hat schlichtweg keine Lust auf unsere Ideen.



Eine der ersten Lektionen

die man als Eltern von einem behinderten Kind lernen sollte ist:

PERFEKT GIBT ES GAR NICHT!



Und wenn,

dann ist das für jeden anders.

Sieht man doch schon am Morgenkaffee

was für den einen perfekt ist,

wäre für den anderen ein Supergau.



Natürlich habe auch ich meine Lektion gelernt

und gehe erstaunlich gelassen

mit der verzögerten Entwicklung von Jolina um.



Und trotzdem gibt es da diese

kleinen, gemeinen Momente des Zweifels.


Vielleicht wäre Jolina schon genau so gut,

oder sogar viel besser

im sprechen

wenn ich mehr mit ihr machen würde?


Hätte ich lieber mal

frühes Lesen mit ihr geübt

und sie nicht Pippi, Michel oder jetzt neu das Sams gucken lassen.



Am ehesten kommen diese fiesen Momente

wenn ich die Möglichkeit habe Vergleiche zu ziehen.

Wenn in facebook

ein Kind mit Down Syndrom im gleichen Alter

ein Ständchen gibt und fast alle Wörter des Liedtextes auch kommen.

oder

wenn ich höre wie viele Therapiestunden andere Kinder pro Woche haben.



Wenn ich dann mein Hirn einschalte

ist mir klar,

dass Jolina in anderen Bereichen eventuell schon weiter ist.

Aber dann bin ich wieder

ganz gemein in eine dieser Mütterfallen getappt.



"Mein Kind kann....!"



Die richtige Antwort wäre wohl:

"Na und!"


Tun wir aber nicht,

weil wir ja gut erzogen sind

und

weil da dann doch diese kleinen Zweifel kommen

Warum kann mein Kind das nicht????



Wir haben alle Angst davor

in ein paar Jahren zu sagen:

"Hätte ich doch...."


Die Angst etwas zu verpassen,

etwas das nicht wieder gut zu machen ist.



Diese Angst ist wohl Volkskrankheit.


Anstatt im Restaurant mit Freunden zu sitzen

und den Moment zu genießen,

sind oft 50% der Köpfe nach unten gebeugt

und der Finger huscht übers Smartphone.


Nur nichts verpassen!

Überall dabei sein!

Nur nicht da wo man wirklich ist, schade.


Während wir versuchen nichts zu verpassen,

verpassen wir so viel.



War vor ein paar Jahren der Börsenmakler

ein Individuum, das man belächelte und bedauerte,

weil er ja immer online und up to date sein musste,

immer gehetzt, nicht den richtigen Moment zu verpassen.....



Heute sind ganz viele so,

da werden die ersten Schritte des Kindes gefilm, gepostet und mit den "Freunden" darüber in fb geschrieben,

früher, hätte man das Kind ganz fest in den Arm genommen,

durch die Luft gewirbelt

und aufgeregt gewartet es dem nächsten erzählen zu können.

Und das Bild würde sich fest in den Kopf brennen,

in der Erinnerungsschublade mit dem ersten Kuss

und den Geruch von Mamas Kuchen.


Heute sagt das Hirn,

muss ich mir ja nicht merken,

habs ja auf USB-Stick.



Natürlich sind nicht alle so,

schlagt mich jetzt nicht.

Ich versuche nur an überspitzen Beispielen zu zeigen,

dass man im Grunde,

wenn man versucht nichts zu verpassen

trotzdem etwas verpasst.



Ich glaube das Problem unserer Zeit ist einfach,

dass wir zu viel wissen,

zu viel sehen,

zu viele Bedürfnisse geweckt werden.


Würde ich etwas nicht kennen,

würde ich es wohl auch nicht vermissen.


Würde ich nicht wissen,

dass es Kinder mit Down Syndrom gibt,

die mit fast 5 schon tolle Sätze bilden,

dann wäre ich doch mit Jolinas Dreiwortsätzen happy.




Ich weiß, ich bin nicht perfekt,

das möchte ich gar nicht sein.

Und wenn Louisa neben Ballett und Gardetanz keine andere Aktivitäten macht,

dann lernt sie eben kein Instrument,

(wozu sie im übrigen auch keine Lust hat,

denn üben ist doof!!!)

aber sie hat Zeit zum spielen.

Und mal ganz ehrlich,

ich habe mir eine weitere Müttertaxifahrt gespart,

denn was Kinder verdienen sind Mamas

und keine Agenten.



Ich halte Bildung für ebenso wichtig wie Werte.

Diese guten, alten, verstaubten Dinge wie,

Pünktlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft

und wenn Jolina auch noch nicht in klaren Sätzen spricht,

sie bedankt sich bei jeder Kleinigkeit,

(Bitte und Danke waren neben Papa ihre ersten Wörter).

sie will immer "helfe"

was mich oft zur Verzweiflung bringt

und an meiner Pünktlichkeit, die früher schon penetrant war,

arbeite ich mit Erfolg,

denn irgendwie ist Zeitmanagement mit Kindern ein Abenteuer

für einen Extra BlogPost.



Liebe Mitmütter,

was ich Euch sagen will,

man verpasst immer etwas

und das ist nicht schlimm,

solange man nicht Alles verpasst,

das wäre doof.


Und vielleicht sollten wir alle einfach mal antworten

"Na und!"

wenn eine dieser Mütter mit stolz geschwellter Brust 

mit irgendwelchen

"Mein Kind kann-Geschichten"

Beifall einsammeln möchte

um das eigene Ego zu stärken

und vielleicht auch das schlechte Gewissen zu beruhigen,

denn vielleicht hat dieses Kind ganz viel verpasst

während es das was es kann lernen musste.






Edit 24.01.2014, 19:42h: 

Warum werde ich immer falsch verstanden?

In diesem Post geht es nicht um die anderen,
es geht um mich, um Euch,
um das schlechte Gewissen, welches man oft hat
zu wenig getan zu haben.
Un die Ängste etwas zu verpassen.
Und um die Balance zu finden
zwischen dem was man möchte
und das was man leisten kann.

Ich möchte keinen dafür verurteilen,
dessen Kind mehr kann als meins,
das sind doch nur die Auslöser meines schlechten Gewissens zu wenig zu fördern.

Und wenn ein Kind in einem Video singt,
ist das doch toll
und hat nichts mit
"Mein Kind kann!" zu tun
(Es gab in den letzten Wochen 5 dieser Videos zu sehen,
von 5 unterschiedlichen Kindern)


"Mein Kind kann" ist:
Eine 7 jährige die Chinesisch lernt
oder eine die 60 km zum Ballettunterricht in die Eliteschule gekarrt wird und nicht wie meine bei der Volkshochschule Ballettunterricht nimmt.

Ich habe nun mal zwei Kinder
und ich komme auch mit unterschiedlichen Elterntypen zusammen.

Niemals hätte ich daran gedacht, dass
die Eltern meiner DownSyndromVorbildKinder
denken sie seien "Mein Kind Kann" - Eltern.
 

Edit 22.1.2017:
3 Jahre später spielt Louisa übrigens doch ein Instrument, Querflöte.
Sie läuft selbst in den Unterricht und üben? Nun ja, ist immer noch doof.











5 Kommentare:

  1. MARTINA <3 <3 <3 <3...RECHT haste...geht mir GENAU soooooooo!

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  2. Du sprichst mir so aus der Seele. Danke, das du es auf den Punkt und in den Blog gebracht hast :)

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  3. Ja, so ist das!
    Auch von mir ein "Danke" für den Post
    herzliche Grüsse
    Elisabeth

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