Dienstag, 21. November 2017

Ich will das alleine! Der Weg in die Selbständigkeit


Willkommen bei mir hinterm Küchenfenster.
Sorry, das Fliegengitter kommt bald raus, dann sieht man auch wieder besser.

Diesen Blick habe ich jeden Mittag wenn Schule ist.
Jolina besteht inzwischen darauf alleine vom Auto des Fahrdienstes an die Tür zu laufen und zu klingeln. Wehe ich habe die Tür schon vorher geöffnet, dann muss ich sie schließen, Jolina klingelt und gut ist.

Das sind solche Kleinigkeiten die lernt man übrigens mit der Zeit, ganz typisch für Kinder mit Down Syndrom.
Abläufe sollen immer so sein wie man sie sich vorgestellt hat und manchmal begreifen wir gar nicht warum jetzt die Welt untergeht, dabei haben wir ein kleines Puzzelteil aus diesem Ablauf vergessen und dann blockiert das System.
Ich selbst kann das super nachvollziehen, wenn mein Besteck nicht zueinander passt, dann kann ich nicht essen. Meine Familie hat sich arrangiert mit dieser Macke und weiß, wenn man mir das Messer, das zu dem Geschenk von Tante Erika gehörte zu der Gabel von IKEA legt, dann drehe ich so ein bisschen am Rad. (Man hat mir schon leicht autistische Züge bescheinigt, aber sonst geht's mir gut, hahaha)

Also soviel zum klingeln.

Es ist toll das Jolina Selbständigkeit fordert und wenn es auch nur dieser kleine Schritt vom Auto zur Tür ist, wobei, die schaut zwar links und rechts, nein, ich muss das anders sagen, sie dreht den Kopf auf beide Seiten, allerdings wenn  sie voll vor der Kühlerhaube des Busses steht.
Da seh ich nicht, okay, ich bin klein, sehr klein, aber ein 1,90 Typ sieht da auch nix.
Ich hoffe jedesmal, dass nicht einer dieser Wahnsinnigen mal wieder mit Vollgas durch die Verkehrsberuhigte Zone braust, der hätte dann zwar Schuld, aber das Leben meines Kindes liegt mir da doch schon am Herzen.

Aber wo soll sie es lernen? Das ist doch ideal, also stehe ich hinterm Fenster und erkläre ihr das mit dem nach Autos schauen das nächste Mal noch einmal und noch einmal und noch.......



Manchmal könnte ich sicher viel früher los lassen und manchmal Druck ausüben.
Schneiden, also das eigenes Essen schneiden. Ich finde man könnte ja mal ne Kartoffel klein schneiden bevor man rum maul das wäre zu groß, hat sie auch schon mal gemacht, doch gerade eben nicht. Wenn ich mich dann stur stelle und sage du hast ein Messer, nimmt sie die Gabel, sticht in die Kartoffel und beißt ab, blöd ist sie ja nicht und stur kann sie auch sein.

Manche Dinge verlange ich und der Papa nicht, das war mir gar nicht bewusst, bis mir Louisa das mal sagte.
Wenn Papa da ist, dann bringt er Jolina ins Bett, wenn er Abends noch unterwegs isr, dann mache ich das.
Vor kurzem steht Louisa hinter mir und sagt: "Ach, bei Dir macht die das ja alles alleine." Ich: "Was?" Louisa: "Das an und aus ziehen, das macht sonst immer Papa."
Fragt sich jetzt noch jemand warum Jolina so ein Papa-Mädchen ist? Das ist nämlich nicht nur mit den Kleidern so. Bevor er dann viele Worte macht zieht er sie eben an und aus, Männer haben's ja nicht so mit dem sprechen, höchstens wenn es um eines ihrer Themen geht.
Ich zeige ihr höchstens nochmal wo man sieht, dass das bei der Hose hinten ist und welcher dieser 3 vertrackten Löcher bei der Unterhose das zum rein steigen ist.

Vieles der Selbständigkeit unserer Kinder hängt davon ab wie wir es ihnen abverlangen und das hat auch nichts mit Behinderung zu tun. Unsere Große ist auch gerne mega bequem und stellt sich gerne doof an um etwas nicht tun zu müssen.

Kleiner Tipp, Zeitdruck ist immer ein absoluter Selbständigkeitskiller.
Schon in der Kindergartenzeit habe ich Jolina 10 Minuten bevor sie los musste die Schuhe gebracht "Zieh bitte die Schuhe an." Es war genug Zeit zum probieren und auch mal die Entenfüße zu korrigieren, das ist mir übrigens dann auch wichtiger als keine schmutzigen Schuhe im Wohnzimmer oder puhh ist das warm mit den Winterstiefeln hier drin.
Selbständigkeit braucht Zeit und das müssen wir immer einrechnen und es braucht Übung, bei Jolina und anderen Kindern mit Down Syndrom eben 100 mal mehr als bei Kindern ohne diesen Special Effect.

Wenn ich eins durch Jolina gelernt habe etwas mehr Geduld, klar es müsste noch ein bisschen mehr werden, aber der Weg ist das Ziel.
Im Zeitmanagement war ich schon immer gut und bei Kind 2 wusste ich dann auch, dass ich beim Verlassen des Hauses immer eine volle Windel inkl. Komplettdusche in genau dem Moment mit einrechnen muss.

2 Kommentare:

  1. Hihi.....aus der Reihe "5 Minuten doof stellen retten den Tag"...
    Hier sieht man mal wieder, dass geistig behindert und dumm nicht das Gleiche sind!
    Das mit der Windel ist ja nun auch längst Geschichte......ist in sofern aber auch ein gutes Timing; zu Hause hat man ja alles da..... wenn es 15 Minuten später auf dem Spielplatz passieren würde, könnte man dann gleich wieder umkehren.......oder war das vielleicht auch so eine schlaue Idee " wenn ich jetzt die Hose voll mach können wir nicht zu diesem doofen Termin auf den ich keinen Bock hab"......
    Nun muss sie sich in solchen Situationen einen anderen Trick überlegen :-)

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  2. Du weißt ja, dass mein Sohn mit Down-Syndrom leider nicht auf dieser Erde weilt, zu keinem Bus und auf keiner Straße herumläuft... Und weißt du, was ich immer wieder an mir gegenüber meinem Großen (5) beobachte? Ich überbeschütze ihn, lasse ihm dadurch vermutlich oft zu wenig Raum für Selbständigkeit... Vor kurzem ist mir dazu ein Licht aufgegangen: Der Schutz und die Fürsorge, die mein Mutterherz eigentlich für den Kleinen parat gehabt hätte, stülpe ich nun doppelt meinem Erstgeborenen über. Oh je, ich muss noch sehr viel lernen... - Wie schön jedenfalls, dass Jolina *auch* Selber-Machen-Impulse zeigt.

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