Samstag, 16. April 2016

Buchtipp: Das Erbe der Kriegsenkel von Matthias Lohre

Ich habe selten ein Buch so verschlungen seit ich Kinder habe wie dieses.
Selten genug habe ich Zeit um mich in Ruhe hin zu setzen um zu lesen, doch bei diesem Buch habe ich mir Zeiten frei geschaufelt.

Das Thema fand ich generell sehr interessant, Untertitel: "Was das Schweigen der Eltern mit uns macht"



Ich gehöre zu der Generation der Kriegsenkel, denn meine Eltern waren Kriegskinder, aber geschwiegen wurde bei uns eigentlich nicht, so war ich sicher, dass ich auch kein typischer Kriegsenkel bin.

Doch was ist schon typisch, jeder Mensch ist anders und verarbeitet Erfahrungen anders auch das erfährt man in dem 250 Seiten starken Buch das am 21.3. erschienen ist. (Der Welt Down Syndrom Tag, das muss ein gutes Buch sein ;-) )

Auf der Suche nach mir selbst war ich auch schon, mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen, doch ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es eigentlich daran lag, dass meine Eltern Kriegskinder mit eigenen Traumata sind.
Dieses Buch half mir einen schritt weiter zu mir zu finden und deshalb erzähle ich hier nicht nur über das Buch, sondern zeige Euch auch, dass ich ein Kriegsenkel bin, auch wenn mir das bis vor einer Woche noch gar nicht bewusst war.

Das erste Aha-Erlebniss hatte ich allerdings schon bei dem ganzen Trubel zu 25 Jahren Deutsche Einheit.
Wow, 25 Jahre? Das war doch gefühlt erst gestern und das geteilte Deutschland ist immer noch irgendwie in meinem Kopf. Und dann rechnete ich.

Es sind weniger Jahre nach dem Krieg bis zu meiner Geburt vergangen, als jetzt die Wiedervereinigung her ist.

Ich bin gar nicht so lange nach dem Krieg groß geworden, vielleicht ist deshalb alles näher an mir dran, als andere das in einem Geschichtsbuch lesen.



Ja, ich bin wirklich ein Kriegsenkel und es hat was mit mir gemacht. Vieles ist mir erst beim lesen dieses Buches klar geworden und ich laufe Gefahr Kriegsurenkel zu erziehen, aber vieles finde ich gar nicht so falsch, andere aber doch und so kam es wohl auch, dass ich in dem Post in dem ich meine Erziehungsmethoden kurz anriss was die Kleiderwahl meiner Töchter betrifft gewaltig angeeckt bin.

Ich bin so erzogen. Meine Mutter hatte das auf die 60er umgeschriebene Buch der Babyerziehung im Schrank und wurde von ihrer Mutter und Großmutter angeleitet mich genau so zu behandeln wie es im 3. Reich vorgesehen war.

Kinder lässt man schreien, sonst werden sie zu kleinen Tyrannen. Gestillt wird strikt nach Zeitplan.
Kinder haben zu gehorchen und nicht dazwischen zu quatschen.

Ich wundere mich immer warum die heutigen Kinder so anders sind als wir früher. Niemals hätten wir gewagt Erwachsenen ins Wort zu fallen und wenn, dann nur einmal.

Louisa muss mir IMMER ganz dringend etwas erzählen, wenn ich zB ein wichtiges Telefonat mit Behörden führe. Auch bei der Schweigeminute, die wir in den Niederlanden für die Anschläge in Belgien einhalten sollten, hatte sie mir etwas mitzuteilen. Ich: "Pschtttt" sie plapperte weiter. Ich gedämpft: "Sei still!" aber es nützte nix. Ich weiß, mir hätte man bei der Gelegenheit mal kurz auf den Mund geklopft (geschlagen wäre zu heftig gesagt) nur das versuche ich ja nicht so zu machen, also mache ich es ja doch nicht so verkehrt und hinterher nahm ich sie mir auch gewaltig zur Brust, wenn ich ihr vorher nicht lang und breit erklärt hätte warum wir 1 Minute schweigen und gedenken.

Wir Kriegsenkel hatten also noch gelernt zu gehorchen, so wie das im 3. Reich auch von den Kinder gewollt war. Nur hat man damals versucht Soldaten zu züchten.
Ich bin genau so geworden wie man das auch damals gewollt hätte, Mist, ich bin jemand der durchzieht was er begonnen hat, auch ohne Rücksicht auf mich selbst.
Ich war mal so verrückt mit einer gebrochenen Rippe in Mexiko zu tauchen, Wahnsinn was da hätte passieren können, doch es war ja nur ich. So denke ich und bin immer erstaunt wenn andere nicht so sind, hahaha.

Nur einen Vorteil hat das. Es gab niemals auch nur den kleinsten Gedanken Jolina mit ihrem Down Syndrom nicht als meine Tochter haben zu wollen. Ich hatte es angefangen, also musste ich durchziehen, egal wie. Die Liebe kam später und ich schämte mich, wenn man mir sagte ich sei "Eine ganz starke Frau". Quatsch, ich war nicht stark, sondern ich bin jemand der sich wie ein Pittbull verbeißt und nicht locker lässt. Eigene Gefühle werden hintenan gestellt.

Ich habe schreckliche Angst eingeschlossen zu sein, Jahre lang wusste ich nicht wieso, meine Eltern hätten mich niemals in den Keller gesperrt, das hatte man mit ihnen gemacht und das wollten sie mir sicher nicht antun, aber woher kam es dann?
Mit ca. 25 Jahren kam ich darauf. Ich war mit 2 im Krankenhaus zu einer OP, damals durften Eltern noch nicht bei ihren Kindern sein, 1 Stunde Besuchszeit, fertig. weil ich so sehr weinte und die anderen Kinder im Zimmer nervte wurde ich mit meinem Gitterbett in einem kleinen Raum eingeschlossen in dem die Bettpfannen gesäubert wurden. Die Schwester die das veranlasste war schon recht alt, eine treue Befürworterin der Erziehungsmethoden der NS-Zeit.
Auch über diese Frauen findet man einen Satz in dem Buch.

Ich bin ein Kriegsenkel!
Auch wenn meine Eltern nicht über ihre Kindheit und die ganzen erlebten Dinge im Krieg geschwiegen haben, wie es die Eltern des Autors taten habe ich doch immer noch ne gehörige Portion Kriegstrauma abbekommen, ohne den Krieg je erlebt zu haben.
Dies muss man sich erst mal eingestehen.

Genau bei dieser Reise dürfen wir Matthias Lohre begleiten.
Warum bin ich wie ich bin? Diese Frage stellte er sich erst nachdem sein Vater zum Geisterfahrer wurde und er sich eingestehen musste nichts über seine Eltern gewusst zu haben. Jetzt waren beide tot und die Chance vertan.

Doch er findet Gesprächspartner die ihm helfen die Vergangenheit aufzurollen und zu verstehen. Er lernt, dass Eltern auch trotz den besten Absichten vieles falsch machen können.

Das Buch, erschienen im Gütersloher Verlagshaus, ist zwar ein "Sachbuch" und doch wieder nicht. Es ist auch eine Autobiographie  und eine Erzählung über die Suche nach Antworten.
Spannend und gar nicht trocken geschrieben und vor allem für die heute 40-60jährigen ein Blick in ihr eigenes Innerstes.



Inhaltsangabe:
"Matthias Lohre begibt sich auf die Suche nach seinen verstorbenen Eltern. Mit seiner persönlichen Geschichte zeigt er exemplarisch, mit welchen Nöten die Kinder der Kriegskinder bis heute kämpfen: Die nie verarbeiteten traumatischen Erlebnisse ihrer Eltern haben bei Kriegsenkeln zu mangelndem Selbstwertgefühl, extremen Schuldgefühlen und diffuser Angst geführt. Ihnen hat sich eine Katastrophe eingeprägt, die sie selbst nicht erlebt haben. Den etwa 40- bis 60-Jährigen eröffnet sich heute die letzte Chance, die Seelentrümmer ihrer Familien-Vergangenheit aufzuspüren. Matthias Lohre zeigt an seinem ermutigenden Beispiel, wie echte Versöhnung gelingen kann."






Dieser Post enthält Werbung. Ich bedanke mich beim Bloggerportal für die Vermittlung des Freiexemplars



Hier noch eine kleine Leseprobe:

5 Kommentare:

  1. Oh, wow, danke für diesen Post! Ich merke, das Buch brauche ich ganz dringend. Dieses mit 2 Jahren im Gitterbett .... ist mir übrigens genauso passiert, zum Glück nicht so lange, nur ein paar Tage, weil keine OP nötig war.
    Genau die gleichen Gedanken hatte ich übrigens letztens auch, dass man gar nicht sooooo lange nach dem Krieg geboren worden ist, als mir klar wurde, dass die Zeitspanne zwischen Kriegsende und meiner Geburt nur ein kleines bisschen größer ist, als die zwischen meiner Geburt und der Wiedervereinigung. Auch wenn man das natürlich auch so weiß, war ich, als ich drüber nachgedacht habe, trotzdem erstaunt und ein bisschen auch erschrocken.
    Viele Grüße, Claudia

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  2. Spannend, wenn man wieder was besser versteht.
    Lass mich mal überlegen meine Oma mütterlicherseits hat ihren ersten Mann im Krieg verloren, mein Opa war auch im Krieg Soldat. Ich finde es immer spannend wenn meine Mama von alten Zeiten erzählt.

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  3. Das ist längst nicht das erste Buch zu dem Thema.
    Aber immer mal wieder eines.
    Und Vieles lässt sich sicher auch nachverfolgen und verifizieren.
    Und trotzdem: Geht es unserere Generation (59 geboren) so gut wie keiner je zuvor. Und ALLE vor uns hatten irgendwelche Nachkriegs-Vorkriegs-Krisen-Traumata. Das dauert - wusste schon das alte Testament - bis ins 3. Glied = 3. Generation. Insofern: anichts Neues.
    Sollte uns vielleicht einfach nur mal dazu anleiten, weniger selbst beweihräuchernd zu schreiben oder zu lesen und mehr auf die zu schauen, die da auch gerade wieder traumatisiert durch die Gegend ziehen müssen...
    Manchmal muss man (frau, ich) auch zugeben: auch die ad libitum gestillten, selbständig erzogenen Kinder der 80er Jahre wurden tatsächlich Tyrannen - und kursiert da nicht gerade auch ein Buch auf dem Buchmarkt, dass die jetzigen "kids" tatsächlich ganz SICHER welche sind *lach*
    Nicht alles so scharf nehmen, Frau Jou, die Menschheit hält was aus!
    LG Gerlinde

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  4. ich muss dieses Buch haben, unbedingt!
    so eine KH Geschichte kann auch ich erzählen, leider gleich 3mal
    Nachkriegskrankenschwestern im Osten, keine gute Kombination

    Liebe Grüße
    Beatrice

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  5. Ui, das Buch habe ich mir schonmal auf Halde gelegt und werde es definitiv irgendwann lesen.

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