Donnerstag, 25. Juni 2015

Muss ich auch meinen Senf zu den Bundesjugendspielen abgeben?

Ja!

Es juckt in den Fingern.
Es juckt nicht nur, nein, am liebsten würden diese Finger sich die Dame schnappen und mal richtig durchschütteln, die plötzlich auf die Idee kam alle Mütter in Deutschland würden ihr jubelnd zur Seite stehen, weil sie die glorreiche Idee hat die Bundesjugendspiele müssten abgeschafft werden.

Die Blogbeiträge die ich bisher gelesen habe, ja es gibt da schon einige, sind durchweg auf meiner Seite.

Puh, langsam entspanne ich mich ein wenig und sollte meine Hände wohl ausschütteln und mich genüsslich zurücklehnen.

Aber, es juckt immer noch, ich muss meinen Senf einfach auch dazu geben.

Als ich in den 70er Jahren *hüstel* in der Grundschule meine ersten Bundesjugendspiele hatte zeichnete sich schon sehr deutlich ab, dass ich wohl nie eine Sportskanone sein werde.
Natürlich war es nicht gerade schön mit einigen wenigen keine Urkunde zu bekommen, doch Leute die diesen blöden Schlagball nach hinten werfen haben auch keine Urkunde verdient, das begriff ich schon als 7 jährige und fand das auch okay.

Peinlich berührt war eher meine Mutter und sie tat mir auch immer ziemlich leid.
Obwohl meine Mutter in der Nachkriegszeit in einem kleinen Dorf lebte und in eine Dorfschule ging in der alle Klassen in einem Raum von einem Lehrer mit Notabitur unterrichtet wurden hat dieser Lehrer ihr Talent entdeckt und meine Oma, die keinen Mann mehr hatte dazu gebracht dies zu unterstützen.
Meine Mutter bekam richtige Spikes zum rennen und ging in den Sportverein in der Kreisstadt, wo sie als Dorfmädchen gegen die Kinder von Lehrern, Apotheker usw antrat und sie war so gut, dass sie irgendwann nur noch mit den Jungs rannte weil sie so schnell war und auch da gewann sie noch und reiste zu großen Sportveranstaltungen in Deutschland.

Wenn meine Mutter Leute von damals traf und mich dabei hatte kam meist die Frage: "Und? Ist deine Tochter auch so eine Sportskanone?" Sie wusste meist gar nicht wie sie es ausdrücken sollte, arme Mama. Trotzdem sah ich es locker und meine Mutter wäre auch nie auf die Idee gekommen die Abschaffung der Bundesjugendspiele zu fordern, nur weil ihre Tochter eine ausgeprägte Leichathlekiastie hatte.
Später hatte ich übrigens einen ihrer Sportvereinsfreunde als Klassenlehrer, zum Glück nicht in Sport, sonst hätte er sein späte Wiedergutmachung der Schmach gehabt, dass ein jüngeres Mädchen ihn im 100 Meterlauf besiegt hat.

Wie so oft überspringt es eine Generation, Louisa hat Omas Gene geerbt. Sie fiebert den nächsten Bundesjugendspielen schon entgegen und vor kurzem erzählte sie kichernd beim Mittagessen: "Der P. hat geheult weil ich schneller war als er." Und Leute, P. ist wirklich schnell.

Ich war übrigens letztes Jahr sehr erstaunt als mir meine Tochter erzählte wie es heute bei den Bundesjugendspielen abgeht, die sind nämlich schon weichgespült.

Wenn früher nur wenige Kinder, unter anderem ich, keine Urkunde bekamen wäre es wohl heute so, dass sich das Verhältnis umgedreht hat.
Natürlich bekam das Töchterchen eine Urkunde, weil sie super abgeschnitten hatte, aber alle anderen auch und zwar selbst die Kinder die den Ball nach hinten werfen, diese Urkunde nennt sich Teilnahmeurkunde. Die gibt es weil heute die Kinder im Vergleich zu früher so unsportlich sind, dass zu wenige die Ziele nur annähernd erreichen.

Ich verstehe auch die Argumente der Eltern nicht, Leistungsdruck! Immer wieder jammern sie über den Leistungsdruck!

Wer hat denn diesen Leistungsdruck?
Nicht die Kinder.
Hier wird wieder das eigene Empfinden auf die Kinder projiziert.
Eltern grenzen sich heute nicht mehr genug von ihren Kindern ab und empfinden das vermeintliche Versagen der Kinder als persönliche Niederlage.
Wenn früher der Sohn mit einer 5 nach Hause kam bekam er eine Standpauke und den Auftrag mehr zu lernen, das wurde auch kontrolliert und die Elter erfüllten ihre Aufgabe.
Wenn heute das Kind mit einer 5 vor den Eltern steht machen die sich Vorwürfe versagt zu haben, sie machen dieses Versagen des Kindes zu ihrem eigenen, nur die Ansage und Kontrolle genügen wohl nicht mehr oder die Einsicht, dass das Kind evtl die Leistung einfach nicht bringen kann und auf eine andere Schule müsste.
Eltern würden ihren Kindern heute am liebsten alles abnehmen was unangenehm oder anstrengend ist.

Ihr tut Euren Kindern keinen Gefallen, denn nur an Niederlagen und schwierigen Aufgaben kann man wachsen.

Ich wachse täglich an der Aufgabe ein Kind mit einer Behinderung zu erziehen.
Natürlich wäre es einfacher wenn es nicht so wäre, aber es ist eben so.

Ich habe gelernt, dass man sich eben durchkämpfen muss auch wenn es mal nicht nur Glitzer regnet und der Himmel mit Regenbögen zugekleistert ist.

Vielleicht habe ich einen Teil meiner Kämpfernatur auch bei den Bundesjugendspielen erlernt.
Hinfallen, Staub abklopfen und weiter gehen und das mit erhobenem Kopf.

Ich bin eine recht starke Persönlichkeit, weiß was ich kann und auch ganz genau was ich nicht kann. Ich habe die Stärke zu meinen Schwächen zu stehen und belächle sie sogar.

Klar wäre es toll auch mal bei einem Halbmarathon mit zu laufen, doch ich würde nach den ersten Metern in Sichtweite des Startpunktes zusammenbrechen und nach einem Sauerstoffzelt jammern. Ich kann das nicht, na und man kann nicht alles können.
Dafür hatte ich dann später im Sportunterricht in der Oberstufe tolle Noten wenn ich mir die Sportart aussuchen durfte.
Okay, heute schlägt die Schwerkraft gnadenlos bei mir zu, doch beim Geräteturnen war ich richtig gut (nur dieses blöde Kastenspringen konnte ich nie) und bei Jazzgymnastik hatte ich sogar zwei mal 15 Punkte im Zeugnis und da waren plötzlich die Sportskanonen mit den Bundesjugendspielurkunden solche Bewegungslegasteniker, dass man fast Mitleid haben konnte.

Kinder lieben es sich zu messen, es macht ihnen sogar Spaß, ob ihr es glaubt oder nicht.
Natürlich macht es keinen Spaß zu verlieren aber deshalb ganz auf den Spaß zu verzichten?

Eine Scheibe könnt ihr Euch mal vom Down Sportfest abschneiden, dort wird auf Zeit genommen und Sprünge gemessen und alle sind Sieger. Das ist der Gedanke der zählt und so sollte es auch bei den Bundesjugendspielen sein.
Zusammen Sport machen, Spaß haben, Bewegung, gemessen wird auch, aber "so what?"

Wo kommt denn der Leistungsgedanke her? Von uns Erwachsenen.

Ich nehme mich da nicht aus, wenn Louisa mit einer 2 in Mathe nach Hause kommt frage ich immer: "Und was hat die A.?" Meist bekomme ich dann die Antwort: "Das weiß ich nicht. Wir dürfen uns die Noten gegenseitig nicht sagen."

Richtig so, jeder weiß wo er steht und keiner fühlt sich schlecht weil er schlechter ist als, höchsten eben weil die eigene Leistung nicht gut war.

Gebt Euren Kindern die Möglichkeit zu wissen wo sie stehen.
Lasst sie rennen, werfen und springen.

Wenn sie den Ball dann nach hinten werfen können trotzdem richtig tolle, starke Persönlichkeiten aus ihnen werden. Oder findet ihr es hat meinem Selbstbewusstsein geschadet immer als letzte beim Völkerball in die Mannschaft gewählt zu werden?

Nein hat es nicht!

Wobei, Völkerball? Ich denke ich reiche die Petition ein, dass Völkerball abgeschafft werden muss, das war wirklich grausam.

Jolina beim Down Sportfest in Frankfurt 2015

7 Kommentare:

  1. Was Völkerball abschaffen - bist du des Wahnsinns.Das lass mal schön bleiben, ich fand das einer der schönsten Spiele überhaupt. (Lag voll daran, dass ich mich winden konnte wie ein Aal. Lach.) Und ich gebe Dir völlig Recht - die Kids werden zu Weicheiern erzogen, und meiner einer, die dann sagt - Kids, dass Leben ist kein Wunschkonzert, wird dann blöd von der Seite angemacht. Und ganz schlimm ist es bei Kinder mit Behinderungen - die armen Kids, wie kann die Mama so grausam sein... Deine Gedanken finde ich immer faszinierend, und ja du triffst es immer ganz genau. Ich könnte mich bei weitem nicht so ausdrücken. LG Sandra

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  2. Liebe Martina,
    ich habe mir auch einige Posts zum Thema heute durchgelesen und bin noch nicht ganz entschlossen, wie ich das alles finde. Ich glaube, das Problem liegt nicht in den Bundesjugendspielen an sich, sondern es hängt an denen, die am Ende für alles Verantwortlich sind, nämlich die Lehrer. Sie müssen dafür sorgen, dass es das wird, was es eigentlich sein soll: Spaß an Bewegung! Und ich muss sagen, dass ich da wirklich schlechte Erfahrungen bei Bundesjugendspielen gemacht habe, denn ich war immer eine lahme Schnecke und wenn man lahm ist, bekommt man auch nicht genug Schwung, um weit zu springen und werfen ging gar nicht. Erst als man mir gesagt hat, man könne auch 1000 m laufen, Hochsprung und Kugelstoßen machen, habe ich meine Freunde an Leichtathletik entdeckt, denn diese Dinge setzen auf Technik und Ausdauer. Dass auch z.B. Werfen (Laufen im übrigen auch...) mit Technik zu tun hat, habe ich erst mit 24 (!) gelernt, als mir endlich mal jemand erklärt hat, wie das wirklich funktioniert und siehe da, ein paar Jahre später habe ich in der Softball-Bundesliga gespielt und konnte gezielte, pfeilschnelle Bälle werfen. Leider hat es mir kein Sportlehrer vorher in 13 Schuljahren auch nur annähernd erklären können!
    Bei Aila auf der jetzigen (Privat-)Schule gibt es übrigens ein Sportfest anstelle der Bundesjugendspiele, mit dem Ergebnis, dass nur noch die besten 3 eine Urkunde erhalten, alle anderen dürfen bei 30 Grad in der Sonne stehen und artig klatschen, da ist mir die Teilnahmeurkunde und Bundesjugendspiele doch lieber. Deshalb plädiere ich einfach dafür, die Bundesjugendspiele zu behalten, dafür aber die Kinder besser technisch vorzubereiten. Ein kleines "beim Werfen ist der Ellenbogen höher als die Schulter" kann bei manchen Leuten schon Wunder wirken ;-).
    Als kleine Nebenbemerkung, weil das auf dich ja nun auch bald zu kommt: Für Menschen mit geistiger Behinderung gelten bei den Bundesjugendspielen andere Tabellen. Leider weiß das kaum ein Sportlehrer (jedenfalls auf "normalen" Schulen) und sie vergessen es auch jedes Jahr wieder. Deshalb muss ich jedes Jahr wieder danach fragen, jedes 2. Mal macht sich dann sogar jemand die Mühe, das wirklich mal nachzuprüfen und siehe da, mein Kind erhält eine Siegerurkunde (denn sie kann wirklich Hölle gut werfen... s.o.). Schön wäre es nur gewesen, wenn man das auch mal vor den anderen, klatschenden Mitschülern erwähnt hätte und nicht 3 Wochen später das Ding dann nur in die Postmappe steckt.
    In diesem Sinne, sportliche Grüße :-) von Katta

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    1. Das stimmt, es steht und fällt mit dem Lehrer.
      Wie schon immer, ich hatte solche und solche, auch welche die es mir recht gut erklärten wie es geht, in der Theorie bin ich olympiareif, aber dieses Fleisch hat nie richtig mitgemacht was mein Kopf sich da so zurecht gelegt hat

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    2. Danke Katta, mein Reden... das Problem sind nicht die Spiele, sondern der Sportunterricht an sich. Den "Schwächeren" müssen die richtigen Werkzeuge an die Hand gegeben werden. Sie müssen begreifen wie Bewegung "funktioniert". Auch ich bin ein absoluter Bewegungslegastheniker. Und ich bin mir sicher hätte man mich da abgeholt wo ich gestanden habe, dann hätte ich auch irgendwann ein Rad schlagen können. Die bloße Anweisung...dann machst Du das so und so reicht da nicht aus. Und durchs bloße zugucken klappt es bei vielen eben auch nicht. Bewegung "erfahren" und dann üben bis es klappt. Das was Du Technik nennst. Und wenn man eine Chance hat, dann macht Wetteifern auch Spaß.
      LG Andrea

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  3. Endlich treffe ich jemanden, der AUCH den Schlagball nach hinten wirft.

    Liebe Grüsse
    Julia

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  4. ... und wenn es keine BuJuSPies gäbe, täten wir Kids noch weniger.
    Ich finde, Eltern sollten sich da raus halten. Aus Schule überhaupt.
    Ihr habt ja sowas von keine Ahnung ;-)
    SchülerInnen meckern eh immer, aber eigentlich - wars immer witzig. Und besser als Unterricht. AUF JEDEN FALL!
    Eine Ex-ABiturientin

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